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DVD - Alban Berg "Wozzeck"

Alban Bergs "Wozzeck" gehört zu den größten, zugleich populärsten Opern des 20. Jahrhunderts. Das liegt ebenso am zeitlos suggestiven Libretto, Georg Büchners Theaterstück "Woyzeck", wie an Bergs Musik. Auch wenn er eine weitgehend atonale Partitur schrieb: Seine Musik besitzt eine mitreißende expressive Kraft, der sich selbst eingefleischte Gegner der Schönberg-Schule nicht entziehen können. "Wozzeck" ist ein Meisterwerk, packend und aufwühlend in seiner emotionalen Wucht, unglaublich stringent und ausgefeilt in der musikalischen Gestaltung.

DVD-Cover: Alban Berg: "Wozzeck" | Bildquelle: Accentus Music

Bildquelle: Accentus Music

DVD-Tipp 02.07.2016

Der DVD-Tipp zum Nachhören!

Gerade deshalb verlangt dieses Werk eine ähnlich meisterhafte Inszenierung. Was Andreas Homoki, der Intendant der Zürcher Oper, im vergangenen Jahr auf die Bühne seines Hauses wuchtete, war so etwas, ein Glücksmoment des Musiktheaters. In der jetzt veröffentlichten DVD tritt das vielleicht noch klarer zutage als seinerzeit im Zürcher Opernhaus. Die Kamera ist dichter dran an den Figuren, an der atemberaubenden gestischen und mimischen Präzision, mit der Homoki sie punktgenau auf Bergs Musik reagieren lässt. Diese Inszenierung ist ein Wurf, nicht obwohl, sondern weil Homoki der gängigen Rezeption von Bergs "Wozzeck" misstraut und einen radikalen Schnitt macht. Er treibt dem Stück alles naheliegend Sozialkritische aus und verzichtet konsequent auf jeden Anflug eines wirklichkeitsgetreuen Realismus‘. Im Programmheft schrieb er "Ohne eine starke theatralische Verfremdung hätte ich große Sorge, in eine Art politisches Betroffenheitstheater abzurutschen, bei dem sich Publikum als auch Künstler gegenseitig einlullen im wohligen Gefühl einer gemeinsamen Verurteilung der dargestellten Missstände."

Grausige Groteske

Bühnenbildner Michael Levine hat Homoki ein riesenhaftes Puppentheater in grell stechendem Senfgelb gebaut, ein Kunstwerk mit sechsfach hintereinander geschachteltem Guckkasten-Rahmen. Diese Rahmen schließen sich, verdrehen sich gegeneinander, kippen am Ende spektakulär aus den Angeln – die Welt ist aus den Fugen. In dieser fantastischen Szenerie spielt Andreas Homoki mit menschlichen Puppen Kasperletheater, spitzt das Stück zur grausigen Groteske zu. Sie macht gnadenloser als jeder Realismus klar, dass all diese Figuren, die Ausbeuter wie die Geknechteten, Getriebene sind. Freiheit, Individualität? Reine Worthülsen, Schimären. Damit trifft Homoki ins Herz des Werkes, trifft den grotesken Humor, den diese Musik auch besitzt.

Sogartige Emotionalität

Und er trifft sich mit dem trennscharfen, fast sezierenden Orchesterklang, den Fabio Luisi im Orchestergraben entwickelt. Grotesk stilisierte Szenerie und analytischer Klang, beides betont unsentimental, entwickeln eine sogartige Emotionalität, die einen ungleich stärker mitnimmt als jede subjektive Betroffenheit. Die Sänger, allen voran der großartige Christian Gerhaher, sind Teil dieses Konzepts, so bruchlos, wie man es selten auf der Opernbühne erlebt. Gerhahers Wozzeck ist lyrischer als gewohnt, doch gerade in der Zurücknahme agiert er unglaublich intensiv und beklemmend. Die Übrigen tun es ihm gleich, Gun-Brit Barkmin als Marie, Wolfgang Ablinger-Sperrhacke als Hauptmann, Lars Woldt als Doktor, Brandon Jovanovich als Tambourmajor. Sie singen nicht nur fantastisch, sie sind in der Tat die pervertierten Prototypen, die "Karikaturen des damaligen "Establishments", jenes "verrückte Panoptikum von Figuren", das Andreas Homoki im Wozzeck auf der Bühne sieht. Geschlossener und überzeugender kann Musiktheater kaum sein. Die DVD vermittelt diesen Eindruck anders als das Liveerlebnis in Zürich, aber nicht weniger intensiv.

Alban Berg: "Wozzeck"

Christian Gerhaher, Bariton - Wozzeck
Gun-Brit Barkmin, Sopran - Marie
u.a.

Chor der Oper Zürich
Philharmonia Zürich
Dirigent: Fabio Luisi
Regie: Andreas Homoki

Label: Accentus Music

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