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CD - Emil Gilels The Seattle Recital

Fast 52 Jahre ist dieses Konzert jetzt her, aber wer ihn jemals live in einem Recital erlebt hat, dürfte ihn allein schon an der Zugabe erkennen: Emil Gilels hat Bachs h-Moll-Präludium regelmäßig im Anschluss an Klavierabende gespielt, auch an jenem 6. Dezember 1964 im Opernhaus von Seattle. Einer von vier Stationen an der Westküste, im Rahmen seiner dreimonatigen USA-Tournee.

Es war nicht die erste ausgedehnte Tournee in den Westen, die der in Odessa geborene sowjetrussische Pianist Emil Gilels 1964 bestritt. Kaum war Josef Stalin gestorben und das politische Tauwetter in der UdSSR eingeleitet, begriffen auch die borniertesten sowjetischen Kulturfunktionäre, dass sie ein Klavier-Genie wie Gilels, der in der Heimat schon seit Jahren zu recht verehrt wurde, auch als Export-Schlager im Westen konzertieren lassen mussten. Und so war Gilels 1955 der erste sowjetische Künstler, der auf Tournee durch Amerika reiste.

Musikversteher und Musikdeuter

"Ich habe den USA nicht nur mein Herz geschenkt, sondern auch einen großen Teil meiner Lebenszeit", sagte Emil Gilels selbst, der vor dem Recital 1964 in Seattle schon vier lange Tourneen durch Amerika bestritten und dabei das Publikum dort lieben gelernt hatte. Umgekehrt wussten alle im Westen, was sie an dem Heinrich-Neuhaus-Meisterschüler, Swjatoslaw-Richter-Konkurrenten und brillanten Virtuosen hatten: einen über alle technischen Schwierigkeiten erhabenen und trotzdem unbravourösen Musikversteher und -deuter.

Emil Gilels auf BR-KLASSIK

BR-KLASSIK sendet anlässlich des 100. Geburtstages von Emil Gilels ab dem 17. Oktober 2016 fünf Sonderausgaben der "Klassik-Stars" mit Aufnahmen des Pianisten - jeweils ab 18:05 Uhr.

Läufe, Triller und Oktavgriffe

Gilels eröffnete das Seattle-Recital damals mit Beethovens "Waldstein"-Sonate. Gespickt mit rasanten Läufen, wilden Trillern und Oktavgriffen ist sie ein Paradestück aus der technischen Klavierzauber-Trickkiste. Nur, wer hier spielerisch über den Dingen steht, kann wie Emil Gilels auf höherem Level Musik machen: Melodien phrasieren, Zusammenhänge strukturieren, Themen gegeneinandersetzen, reliefartig Transparenz herstellen, Klangfarben leuchten lassen. Dasselbe gelingt ihm im Verlauf des Abends bei Prokofjews 3. Sonate und den mystisch-entschwebten "Visions fugitives".

Suche nach dem Kern der Musik

Zum ersten Mal ist diese Live-Aufnahme, die 1964 in Seattle zwar unter professionellen Umständen, aber eigentlich zu privaten Zwecken mitgeschnitten wurde, jetzt für die Öffentlichkeit zugänglich. Man erfährt beim Hören von Debussy, Prokofjew, Ravel und Chopin einmal mehr (und in diesem Fall ist mehr tatsächlich mehr), was Gilels zum Klavier-Meister macht: bei aller stupenden Technik eben nicht die hohle Geste und das Glitzerwerk, sondern die bedingungs- und sensationslose Suche nach dem Kern der Musik. Was er als Antwort fand, konnte Gelassenheit sein, Poesie und Charme, aber auch souveräne Genauigkeit oder zupackende Dramatik. 52 Jahre alt ist dieses "Seattle Recital" von Emil Gilels, brandaktuell auf dem Markt und künstlerisch kein bisschen in die Jahre gekommen.

Emil Gilels - The Seattle Recital

Ludwig van Beethoven:
Klaviersonate Nr. 21 C-Dur, op. 53 "Waldstein"
Frédéric Chopin:
Variationen über "La ci darem la mano"
Claude Debussy:
"Images", Band 1
Sergej Prokofjew:
Klaviersonate Nr. 3
"Visions fugitives" op. 22 Nr. 1, 3, 5, 10, 11, 17
Maurice Ravel:
"Alborada del gracioso"
Igor Strawinsky:
"Danse russe" aus "Petruschka"
Johann Sebastian Bach / Alexander Siloti:
Prelude h-Moll nach BWV 855a

Emil Gilels (Klavier)
Label: Deutsche Grammophon

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