Revolutionen machen in aller Regel ziemlich viel Lärm. Das gilt auch für die Musik. Beethoven war ein Revolutionär, und das hört man in vielen seiner Werke gleich beim ersten Ton. Klar, dass auch Beethovens Zeitgenossen sofort bemerkt haben, dass hier ein radikaler Neuerer am Werk war.
Bildquelle: Erato
David Fray spielt
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Es gibt aber auch Revolutionen, die sich in aller Stille vollziehen. Manchmal werden sie erst mit jahrzehntelanger Verspätung bemerkt. Franz Schubert war so ein stiller Revolutionär. Seine Freunde nannten ihn, leicht verächtlich, den "Schwammerl" und schätzten ihn eigentlich nur für seine Lieder und unterhaltsamen Tänze. Noch viel weniger begriff das zeitgenössische Publikum, wie genial und wie radikal dieser untersetzte, schüchterne Mensch mit seiner Musik alles hinter sich ließ, was bis dahin komponiert worden war.
Zum Beispiel in der monumentalen G-Dur-Klaviersonate. Revolutionär ist nicht nur die damals unerhörte Dramatik dieser Musik. Womöglich noch radikaler ist der ruhige, fast statische Beginn: Reines G-Dur, piano, nur im Nachhall von einer winzigen Verzierung getrübt, als würde von fern ein Echo herübergeweht. So hatte noch nie eine Sonate begonnen: keine Melodie, kein Thema – der reine Klang, wie ein Naturphänomen, sonst nichts. Aus diesem Urzustand entsteht in einem langsamen, faszinierenden Wachstum allmählich eine monumentale Großform, wie ein riesiger Baum aus einem winzigen Samenkorn.
Knapp 20 Minuten dauert allein der erste Satz – von "himmlischen Längen" sprach Robert Schumann, der als einer der ersten die revolutionäre Kraft von Schuberts Musik begriffen hatte. Leider erst nach dessen Tod. Diese Musik ist nach gewöhnlichen Zeitbegriffen sehr lang, aber wer sich von ihr verzaubern lässt, wird am Schluss immer bedauern, dass sie schon vorbei ist. Schubert schafft mit seinen leisen, sensiblen Klängen eine ganz eigene Wirklichkeit. Der französische Pianist David Fray lässt sich bedingungslos darauf ein. Er hat und nimmt sich alle Zeit – und zieht den Hörer gerade dadurch ebenso sanft wie unwiderstehlich hinein in Schuberts Welt.
Auch auf David Fray passt das Sprichwort von den stillen, aber tiefen Wassern. Poetisch und diskret, aber mit klarer Zeichnung spielt er einige von Schuberts späten Klavierwerken. Für die f-moll-Fantasie und das "Lebensstürme"-Allegro, zwei der vielen großartigen Werke für vier Hände, die Schubert geschrieben hat, tut er sich mit Jacques Rouvier zusammen. Gewiss kann man diese Musik stellenweise auch schärfer, heftiger, kantiger spielen. Dafür entschädigt David Fray durch klanglichen Spürsinn und große Sensibilität. Manchmal sind Revolutionen eben ganz leise.
Franz Schubert:
Ungarische Melodie D. 817
Allegro a-moll D. 947 "Lebensstürme"
Fantasie f-moll für Klavier 4-händig D. 940
David Fray, Klavier
Jacques Rouvier, Klavier bei D. 940
Label: Erato