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Album der Woche - Gautier Capuçon spielt Schumann – Cellokonzert und Kammermusik

Genie und Wahnsinn gehören zusammen – wenn man dem Sprichwort glaubt. Die romantischen Künstler des 19. Jahrhunderts waren jedenfalls fasziniert von der Nähe zwischen genialer Kunst und abweichendem Verhalten. Robert Schumann etwa, der schon in früher Jugend selbst psychische Extremzustände durchlitten hatte. Mitte Februar 1854 hatte er gerade die Korrekturen an seinem Cellokonzert beendet. Am 27. Februar stürzte er sich dann in Düsseldorf von einer Brücke in den Rhein. Schumann wurde gerettet und auf eigenen Wunsch in eine Heilanstalt gebracht, wo er nach zwei Jahren verstarb.

CD-Cover: Gautier Capuçon spielt Schumann | Bildquelle: Erato

Bildquelle: Erato

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Schon vorher litt er unter Halluzinationen und Angstzustände. Hört man das seinen späten Werken an? Das Cellokonzert ist voller Eigenwilligkeiten. Nervös wie eine gezackte Fieberkurve klettert der Solopart über die Saiten. Der Auftraggeber, ein damals bekannter Cellovirtuose, weigerte sich, das Finale zu spielen: Wie soll man mit so einer seltsamen Musik das Publikum mitreißen? Die Cellisten würden Schumann im Traum erscheinen und ihm zur Strafe mit dem Bogen drohen, schrieb er ärgerlich an den Komponisten.

Genialer Eigensinn

Es ist anders gekommen: Gerade weil das Konzert so unkonventionell ist, so knurrig, schwärmerisch, energiegeladen, lieben es die Cellisten. Und es wäre ein fatales Missverständnis, wenn man Schumanns genialen Eigensinn mit einem Nachlassen seiner geistigen Kräfte verwechseln würde. Natürlich hätte er auch etwas Glattes liefern können, wenn er gewollt hätte. Es geht ihm eben um etwas ganz Anderes: Um eine Sprache der Gefühle, die so unmittelbar ist, die emotional so packt, dass sie sich nicht auch noch um irgendwelche abgelutschten Konventionen kümmern kann. Musik, die so leidenschaftlich spricht wie ein Mensch, der einem Freund seine intimsten Gedanken erzählt. Genau so spielt sie der französische Cellist Gautier Capuçon.

Kurz und bündig

Dieses Album wird lieben, wer …
… findet, dass Musik eine Sprache der Gefühle ist.

Dieses Album ist ein Hörgenuss, weil …
… Gautier Capuçon großartige Mitstreiter hat: Bernard Haitink und Martha Argerich!

Dieses Album lädt ein zum …
… Träumen und Wundern.

Schwärmerischer Zugang

Warm ist sein Ton, lebendig und schwärmerisch seine Interpretation. Capuçon versteht diese Musik als romantischen Gefühlsausdruck. Er nimmt sich Zeit, lässt die Melodien sich aussingen – ohne je sentimental zu werden. Darin ist sein Zugang durchaus traditionsverbunden. Und passt perfekt zum warmen und reichen, aber nie dicken Klang, den Altmeister Bernard Haitink am Dirigentenpult dem exzellenten Chamber Orchestra of Europe entlockt.

Geist der Freundschaft

Stimmig ergänzt wird das Album durch Capuçons Einspielung der Cello-Kammermusik von Schumann. Seit 2002 ist Gautier Capuçon zusammen mit seinem Bruder, dem Geiger Renaud, regelmäßig auf Einladung der großen Pianistin Martha Argerich beim Festival von Lugano. Dort entstanden die Live-Mitschnitte, etwa der Fantasiestücke oder der Fünf Stücke im Volkston. Wie groß die Kraft der Inspiration ist, die von Martha Argerich ausgeht, wird unmittelbar spürbar. Das Klischee von Genie und Wahnsinn geht an Schumanns Musik vorbei. Argerich und Capuçon machen es hörbar: Diese Musik lebt aus dem Geist der Freundschaft und der emotionalen Nähe.

Gautier Capuçon spielt Schumann

Robert Schumann:
Violoncellokonzert a-Moll, op. 129
Adagio und Allegro op. 70
Fantasiestücke op. 73 & op. 88
Fünf Stücke im Volkston op. 102

Gautier Capuçon (Violoncello)
Renaud Capuçon (Violine)
Martha Argerich (Klavier)
Chamber Orchestra of Europe
Leitung: Bernard Haitink

Label: Erato

Sendung: "Leporello" am 24. Januar 2019, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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