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CD - Henryk Górecki Symphonie Nr. 4

Was für ein Beginn, was für ein Vermächtnis! Majestätisch und furchteinflößend ragen Akkorde in den Himmel wie die felsigen, schroffen Zacken eines Gebirges, zerklüftet durch abgründige Pausen und niederschmetternde Trommelschläge. Ein Thema, das sich durch manische Wiederholungen einmeißelt ins Gedächtnis. Ein Thema, das man nicht so leicht wieder vergisst.

CD-Cover: Henryk Górecki - Symphonie Nr. 4 | Bildquelle: Nonesuch

Bildquelle: Nonesuch

CD-Tipp 31.03.2016

Der CD-Tipp zum Nachhören!

Wer diese bedeutungsschweren Klänge zum ersten Mal hört, wird erstaunt sein, dass Górecki das Thema seiner Vierten Symphonie einfach aus den Buchstaben eines Namens abgeleitet hat, die er in Töne übersetzte: aus dem Namen des polnischen Komponisten Aleksander Tansman. Ursprünglich hatte Górecki den Auftrag erhalten, eine Hommage an seinen heute fast schon vergessenen Kollegen zu komponieren. Doch während der Arbeit an der Symphonie, die sein letztes Werk werden sollte, verwandelte sich die Hommage in die Quintessenz von Góreckis eigenem Schaffen. Und so tauchen immer wieder Anklänge an frühere Werke auf, aber auch an polnische Folklore und archaische Choräle, an Richard Wagner und John Adams - und an ein Werk, das Górecki wie kein anderes liebte: das Stabat Mater von Karol Szymanowski.

Scharfe Kontraste und unergründliche Geheimnisse

Góreckis Vierte Symphonie ist ein sehr persönlicher Abschiedsgruß geworden, manchmal wehmütig, manchmal aber auch übermütig. Unter der klassizistisch klaren viersätzigen Oberfläche lauern scharfe Kontraste und unergründliche Geheimnisse. Zirkusmusik steht neben inbrünstigen Gebeten, groteske Grimassen entpuppen sich als bitterer Ernst, brachiale Tutti wechseln mit ausgedehnten, intensiv empfundenen Kammermusik-Passagen.

Kampf zwischen Gut und Böse

Der schwerkranke Komponist konnte die Partitur nicht mehr selbst vollenden, sein Sohn Mikołaj Gòrecki hat die Symphonie schließlich instrumentiert. Die Londoner Uraufführung liegt hier auf CD vor. Nicht nur deshalb wird das Stück noch lange Zeit Fragen aufwerfen. Denn zweifellos sind der Musik geheime Bedeutungen eingeschrieben. Für den Dirigenten Andrey Boreyko, der die Premiere plastisch und in grellen Farben dirigierte, symbolisiert das Werk den Kampf zwischen Gut und Böse - eine von vielen denkbaren Interpretationen. Henryk Górecki hat uns also mit seiner Vierten Symphonie keinen weiteren Chartbreaker hinterlassen, sondern ein Rätsel – allerdings ein großartiges Rätsel.

Henryk Górecki: Symphonie Nr. 4 ("Tansman-Episoden")

London Philharmonic Orchestra
Leitung: Andrey Boreyko
Label: Nonesuch

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