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CD - Jewgeni Mrawinski dirigiert Von Mozart bis Schostakowitsch

Geboren wurde er 1903 im russischen St. Petersburg, gestorben ist er 1988 im sowjetischen Leningrad: der Dirigent Jewgeni Mrawinski. Mit 35 Jahren wurde er zum Musikdirektor der Leningrader Philharmoniker ernannt. Diesem Eliteorchester der Sowjetunion blieb er ein halbes Jahrhundert lang eng verbunden, die meiste Zeit als Chefdirigent. Damit war Mrawinski eine der einflussreichsten Musikerpersönlichkeiten der Sowjetunion unter Stalin, Chruschtschow und Breschnew, und bis zum irreparablen Zerwürfnis 1962 jahrzehntelang einer der engsten Freunde von Dmitri Schostakowitsch.

CD-Cover: Jewgeni-Mrawinski-Edition, Vol. 1 | Bildquelle: Profil – Edition Günter Hänssler

Bildquelle: Profil – Edition Günter Hänssler

CD Tipp 10.03.2016

Der CD-Tipp zum Nachhören!

Betrachtet man Fotos von Mrawinski aus dessen letzten Jahren, dann erinnert der markante, hagere Kopf unwillkürlich an einen alten Adler. Nichts scheint dem scharfen, unbestechlichen Blick zu entgehen. Der Eindruck ist wohl nicht falsch. 44 Jahre leitete Mrawinski "seine“ Leningrader Philharmoniker. Ein diktatorischer Perfektionist, unerbittlich in den Proben, gefürchtet von den Orchestermusikern. "Alle hatten Angst vor ihm. Eine halbe Stunde vor Probenbeginn saß das ganze Orchester mit gestimmten Instrumenten bereit. Wenn Mrawinsky vor dem Gebäude ankam, ertönte der gedämpfte Ruf 'vosduch', was so viel heißt wie: 'In Deckung, der Feind kommt'.“

Intensität und emotionale Kraft

Mrawinski probte fanatisch. Auch bei Werken, die er mit den Leningradern schon mehrfach aufgeführt hatte, setzte er acht bis zehn Proben an. Die Ergebnisse waren grandios. Die jetzt in der Edition Günter Hänssler auf sechs CDs wieder veröffentlichten Aufnahmen aus den fünfziger und frühen sechziger Jahren belegen das erneut. Mrawinski formte Klänge und symphonische Verläufe von unglaublicher Intensität und emotionaler Kraft. Fernsehaufnahmen zeigen, dass ihm das mit einer minimalistischen, auf das Nötigste reduzierten Gestik gelang. Er prägte einen überwältigenden, herb strengen, kompromisslos von aller Sentimentalität befreiten Tschaikowsky-Stil, der dessen im Westen lange Zeit unterschätzte Musik in ein neues Licht rückte.

Atmosphärisch dichter Debussy

Mrawinskis Hausgötter waren Beethoven, Wagner und Bruckner. Neben ihnen dirigierte er viele sowjetische Erstaufführungen von Werken der Moderne: Hindemith, Bartók, Honegger, Strawinsky. Auf den sechs klangtechnisch exzellent restaurierten CDs sind die Leningrader neben Tschaikowsky mit Mozart, Ravel, Haydn und Brahms zu erleben. Besonders spannend: glänzende, atmosphärisch dichte, doch alles andere als impressionistisch weichgezeichnete Konzertmitschnitte von Debussys "La Mer“ und zweier "Nocturnes“.

Klavierkonzerte mit Swjatoslaw Richter

Gezielt setzte sich Mrawinski für sowjetische Komponisten ein, hob Prokofjews Sechste und sieben Schostakowitsch-Symphonien aus der Taufe. Als Künstler ein Machtmensch, blieb sein Inneres undurchschaubar. Stalins Regime dürfte er, dem russischen Adel entstammend, gehasst haben. Doch seine Karriere behielt Mrawinski genau im Auge. Als er sich aus politischem Kalkül weigerte, die Uraufführung von Schostakowitschs 13. Symphonie zu leiten, zerbrach die Künstlerfreundschaft. So bietet die Box neben einer herausragenden Produktion von Schostakowitschs Sechster Sinfonie leider nur dessen extrem schwache Zwölfte. Dafür entschädigen zwei fulminant musizierte Klavierkonzerte von Brahms und Tschaikowsky mit dem jungen Swjatoslaw Richter. Fazit: ein Großer, künstlerisch jedenfalls unbestechlich.

Jewgeni-Mrawinski-Edition, Vol. 1

Peter Tschaikowsky:
Symphonien Nr. 4 bis 6 (Nr. 5 in 2 Versionen)
Klavierkonzert Nr. 1
Joseph Haydn:
Symphonie Nr. 101
Dmitrij Schostakowitsch:
Symphonien Nr. 6 und 12
Wolfgang Amadeus Mozart:
Symphonie Nr. 39
Claude Debussy:
La Mer
Nocturnes Nr. 1 & 2
Maurice Ravel:
Pavane pour une Infante defunte
Bolero
Johannes Brahms:
Klavierkonzert Nr. 2

Swjatoslaw Richter (Klavier)
Leningrader Philharmoniker
Dirigent: Jewgeni Mrawinski
Label: Profil – Edition Günter Hänssler

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