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CD - John Sheppard Messe und Motetten

Wo Worte versagen, können Töne trösten. Der Renaissance-Komponist John Sheppard hat eine Trauermusik geschrieben, die uns in den Arm nimmt. Seine Motette "Media vita in morte sumus" fasziniert aber auch durch ihre ungewöhnliche Ausdehnung.

CD-Cover: John Sheppard: Media vita; Gaude, gaude, gaude Maria; Missa Cantate | Bildquelle: © Hyperion

Bildquelle: © Hyperion

Der CD-Tipp zum Nachhören

John Sheppard

Jeder weiß es: Auch wenn draußen die Sonne lacht - der Tod macht keinen Urlaub. Und doch ist der plötzliche Verlust eines Menschen für die Hinterbliebenen eine Erfahrung, der man schutzlos ausgeliefert ist. Dieses Unfassbare hat bereits im 8. Jahrhundert ein Dichter, vielleicht ein Mönch, in zeitlose Worte gefasst: "Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen" - "Media vita in morte sumus".

Klang-Kathedrale

"Media vita in morte sumus" - der englische Renaissance-Komponist John Sheppard hat über diesem alten Choral im 16. Jahrhundert eine Klang-Kathedrale errichtet. Es ist keine der üblichen 8- bis 10-Minuten-Motetten geworden, sondern ein Werk von geradezu symphonischen Ausmaßen: eine halbe Stunde lang dauert es in dieser Neuaufnahme mit dem Choir of Westminster Cathedral unter Martin Baker. John Sheppard schreibt Musik, die uns in den Arm nimmt: tröstlich, besänftigend, zeitenthoben. Sie spricht von Schuld und Zerknirschung, vom Alter und von der Bitternis des Todes. Manchmal führt sie, einstimmig, bis an die Grenze zum Verstummen. Um dann wieder, in sechsstimmiger Wucht, die Hilfe des allmächtigen Gottes zu beschwören.

Schönheit der Melodien

Die räumliche Weite und die Klangfülle des 40-köpfigen Knabenchors kommen der historischen Realität vermutlich näher als andere Aufnahmen in deutlich kleinerer Besetzung oder gar mit Frauenstimmen. John Sheppard war Mitglied der Chapel Royal, der Hofkapelle der englischen Könige; und man weiß, dass in englischen Kapellen 30 oder mehr Sänger keine Seltenheit waren. Zwar fördert das sanfte Dahinströmen der Vokale nicht gerade die Textverständlichkeit, doch darauf kommt es in Sheppards Musik ohnehin nicht an. Chorleiter Martin Baker gibt der Schönheit der Melodien viel Zeit, sich zu entfalten, was auch den beiden anderen Stücken auf dieser CD zugutekommt: der großangelegten Marienmotette "Gaude, gaude, gaude, Maria" und der wunderbar sanglichen "Missa Cantate".

Von der Zerknirschung zur Seligkeit führt die Dramaturgie der CD. Da gibt es dann faszinierend lichte Klänge, wenn Sheppard plötzlich die Zahl der Oberstimmen verdoppelt, Passagen von fast rauschhafter Sinnlichkeit und Glücksmomente, in denen sogar die Dissonanzen süß klingen. John Sheppard, über dessen Biographie man kaum etwas weiß und der vielleicht auch deshalb nie so bekannt geworden ist, war ohne Zweifel ein Könner. Ein Renaissance-Komponist, der eine Renaissance verdient hätte. Diese exzellente CD leistet dazu einen wichtigen Beitrag.

John Sheppard: Media vita; Gaude, gaude, gaude Maria; Missa Cantate

John Sheppard
The Choir of Westminster Cathedral: Martin Baker
Label: Hyperion

Sendungsthema aus "Tafel-Confect" vom 3. September 2017, 12.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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