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CD - Jorge Bolet The RIAS Recordings, Vol. 1

Vor 27 Jahren, im Oktober 1990, starb in Kalifornien der amerikanisch kubanische Pianist Jorge Bolet. Er war insbesondere ein großer Interpret der Musik von Franz Liszt, hatte aber ein breites Repertoire, das von Bach bis Gershwin reichte. Bolets Karriere war steinig, erst im Alter kam er wirklich zu Weltruhm, der nach seinem Tod relativ schnell wieder verblasste. Dabei gehört er für manchen Klavierenthusiasten zu den ganz großen Pianisten des 20. Jahrhunderts. Jetzt ist eine CD-Box mit Aufnahmen erschienen, die zwischen 1962 und 1966 in Berlin beim damaligen RIAS entstanden sind.

CD-Cover: Jorge Bolet - The RIAS Recordings, Vol. 1 | Bildquelle: audite

Bildquelle: audite

Der CD-Tipp zum Anhören!

Für die drei Minuten, die Franz Liszts "Au lac de Wallenstadt" in Bolets Einspielung dauert, würde man einige Liszt-CDs weggeben, für die fünf Minuten, die man dem dritten Chopin-Impromptu lauscht, manche Chopin-Veröffentlichung. Wieviel Poesie und Sehnsucht spricht aus diesen Klängen, welch endlos ruhigen Atem verströmen die melodischen Linien. Selbst Liszt-Verächter müssten schwach werden, wenn Jorge Bolet spielt.

Virtuoses als Understatement

Auf Fotos umgibt den 1914 in Havanna geborenen kubanisch amerikanischen Pianisten die vornehm zurückhaltende Aura eines spanischen Granden, und genauso spielte er auch: nobel, gelassen und ohne die leiseste Attitüde. "Was mich wirklich aufregt", meinte er einmal, "sind die Pianisten, die gelegentlich ihren Kopf heben und gen Himmel richten. Wonach suchen sie, nach Gott?" Auch wenn Jorge Bolet am Flügel nicht nach Gott suchte, er spielte göttlich. Fast lyrisch introvertiert, wie ein einziges Understatement wirkt bei ihm selbst rauschhaft Virtuoses. Die äußere Erscheinung hätte ihn für eine Hollywood-Karriere prädestiniert, doch Show war das Letzte, was Bolet interessierte. Chopins Fantasie-Impromptu etwa spielte er ohne alles Virtuosengeklingel mit einer trockenen, unauffälligen Brillanz. Fantastisch perlend und doch fast wie nebenbei gestaltete er die Läufe.

Farbnuancen und dynamische Schattierungen

Bolet gehörte zu den ganz Großen, blieb aber lange unterschätzt. Erst ein grandioses Konzert in der Carnegie Hall 1974 machte den Sechzigjährigen wirklich bekannt, die Schallplattenkarriere begann noch etwas später. Dabei bietet Bolets schwereloser Anschlag in drei Takten mehr Farbnuancen und dynamische Schattierungen, als andere im Laufe eines Klavierabends zuwege bringen. Und doch bleibt alles klangvoll, rund und singend, die jetzt veröffentlichten Rundfunkaufnahmen des Rias Berlin aus den sechziger Jahren mit Werken vor allem von Liszt, Chopin und Debussy zeigen es einmal mehr. Ein knalliges Fortissimo hätte Jorge Bolet als vulgär empfunden - er brauchte es auch nicht. Als den "letzten Romantiker" unter den Pianisten wollte man diesen großen Künstler in seinen späteren Jahren vermarkten und griff damit ganz sicher zu kurz. Doch selbst wenn es richtig gewesen wäre: Hätten wir doch ein paar mehr davon.

Jorge Bolet - The RIAS Recordings, Vol. 1

Klavierwerke von
Liszt, Chopin, Debussy, Moszkowski, Saint-Saens, Godowsky und Schumann

Jorge Bolet (Klavier)
Label: audite

Sendung: "Leporello" am 22. Januar 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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