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CD - Kai Schumacher "Beauty in Simplicity"

Die zeitgenössische Musik ist so offen wie nie zuvor. Die Grenzen sind fließend, die Denkschulen fluide, aber die Institutionen unterscheiden noch sehr genau zwischen Hoch- und Popkultur. Hier die Oper, da - in der Off-Location - die performative Installation. Da sind Interpreten und Komponisten oft schon einen Schritt weiter. Der in Baden-Baden geborene Pianist Kai Schumacher zum Beispiel, auf seinem Album. "Beauty in Simplicity". Wie schon auf der Vorgänger-Platte hat Schumacher hierfür Transkriptionen eingespielt.

CD-Cover Kai Schumacher - "Beauty in Simplicity" | Bildquelle: Neue Meister

Bildquelle: Neue Meister

Der CD-Tipp zum Anhören

Raus aus der Blase, heißt es ja oft. Raus aus dem verachteten Elfenbeinturm. Nur: wohin eigentlich? Zum Beispiel ins Planetarium. Oder aufs Hamburger Reeperbahn Festival, Europas größtes Clubfestival. Oder doch gleich in eine Frauenzeitschrift? Das zumindest sind Optionen, die der Pianist Kai Schumacher gewählt hat. Er platziert sich und seine aktuelle CD "Beauty in Simplicity" da, wo man es nicht unbedingt erwartet. Die Tour zur aktuellen Platte spielt er unterm Sternenhimmel in städtischen Planetarien. Und dass ein Frauen-Magazin neben Styling-Tipps für "Wilde Locken, sanfte Wellen" und weißen Wintermänteln auch die CD von Kai Schumacher empfiehlt, das erfährt man aus dem Facebook-Feed des Pianisten. Klar: Marktkalkül. Schließlich wollen er und sein Label Neue Meister mit der Platte "Beauty in Simplicity" mehr Menschen erreichen als nur das gängige Konzertpublikum. Völlig legitim. Und ein Plan, der aufzugehen scheint.

Von Erik Satie bis Brian Eno

Kai Schumacher stellt auf seiner CD vor allem Klavierbearbeitungen aus eigener Hand nebeneinander. Und das in einer Vielfalt, die in dieser Art nirgendwo sonst zu finden ist, weder im Konzert noch auf CD und auch nicht Club: Werke aus drei Jahrhunderten hat er für Klavier eingespielt - Erik Satie steht neben der schwedischen Noise-Rockband Lampshade, Produzentenlegende Brian Eno folgt auf Minimal-Altmeister Steve Reich.

Kai Schumacher live

Kai Schumacher präsentiert seine audiovisuelles Konzerterlebnisse in den nächsten Monaten an verschiedenen Orten innerhalb Deutschlands.
Näheres zu den Terminen finden Sie auf der Homepage des Künstlers.

Drumsticks, Ketten und Vibratoren

Ein Song der Berliner Elektro-Band Moderat eröffnet die Platte: "A New Error". Der weltweit gefeierte Moderat-Song von 2009, der hierzulande auch durch Andreas Dresens Film "Als wir träumten" bekannt wurde und der im Original elektronisch wabernd klingt - einzelne Beatmoleküle erzeugen ein bitzelndes Gefühl im Bauch, bis die Wucht der Bässe einsetzt. Bei Kai Schumacher hingegen wird daraus ein pastellfarben schimmerndes Stück Musik, das vor Zartheit geradezu vergeht. Nach einem meditativen Anfang kippt es ins Manische. Und auch hier gibt es Beats. Aber die kommen nicht vom Synthesizer. Kai Schumacher nutzt allein das Klavier. Bearbeitet es nicht nur mit den Fingern, sondern auch mit Drumsticks, Ketten und Vibratoren. Er präpariert die Saiten und den Korpus des Flügels. Ganz ohne Elektronik kommt jedoch auch er nicht aus: Einzelne Motive und Patterns hat der Pianist aufgenommen, hinterher verfremdet und dann neu zusammen gesetzt.

Einfach ist nicht gleich einfältig

Das klingt nicht sonderlich komplex, vielleicht sogar gefällig. Und genauso ist es gemeint. Schließlich heißt die Platte "Beauty in Simplicity". Kai Schumacher sucht die Schönheit im Einfachen. Und an seinen ausgeklügelten Bearbeitungen wird deutlich, dass "einfach" nicht gleich "einfältig" ist. Ganz im Gegenteil. Nehmen wir etwa Peter Michael Hamels "Let It Play". Ein Stück, das mit wenigen Tontupfern arbeitet und dem Kai Schumacher viele unterschiedliche Klangqualitäten entlockt - durch seine pianistische Vielseitigkeit, durch sein genaues Hinspüren, Hineinhören und Abtasten. Das ist große Kunst.

Reich - scharf pointiert

Und auch die unbearbeiteten Klassiker spielt Kai Schumacher so, dass man ihnen etwas Neues ablauschen kann. Steve Reichs "Electric Counterpoint", eigentlich für zwölf Gitarren und zwei Bassgitarren komponiert, interpretiert er scharf pointiert. Und Erik Saties "Gnossienne No. 3" legt er in den Tempi so frei an, dass es die Ohren geradezu schwemmt mit Emotion. Das Gute kann so einfach sein. Und so nah.

Kai Schumacher - "Beauty in Simplicity"

Moderat: A New Error
Wim Mertens: Struggle for Pleasure
Steve Reich: Electric Counterpoint
Brian Eno: Music for Airports
Erik Satie: Gnossienne Nr. 3
Lampshade: The Hug
Peter-Michael Hamel: Let it Play
Moderat: The Fool

Label: Neue Meister

Sendung: "Leporello" am 19. September 2017, 08.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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