BR-KLASSIK

Durch die DJ-Kultur ist eine alte Frage wieder brennend aktuell: Darf eigentlich jeder an Sachen herumbasteln, die sich andere ausgedacht haben? Bearbeiten, neudeutsch covern: Das haben natürlich auch schon die Komponisten vergangener Jahrhunderte gemacht – und gerade die komponierenden Klaviervirtuosen. Nichts war vor ihrem Zugriff sicher, selbst Kunstlieder nicht. Eine CD mit Liedbearbeitungen für Klavier hat nun der Pianist Cyprien Katsaris veröffentlicht. Das Besondere: Man hört nicht nur die Transkription, sondern immer auch das bearbeitete Lied, gesungen von Tenor Christoph Prégardien.

Bildquelle: Challenge Classics

Der CD-Tipp zum Anhören

Schuberts "Forelle" gehört zu seinen beliebtesten Liedern. Das war auch schon im 19. Jahrhundert so. Und deswegen goutierte das Publikum diesen schwer zu angelnden Fisch gern auch mal ohne Sänger.  Franz Liszt war einer der größten Schubert-Fans – und das schon, als dessen Musik noch unbekannt war. Als wohl erfolgreichster Klaviervirtuose seiner Zeit stellte Liszt seine Starpower unermüdlich in den Dienst von Schuberts Werken. Seine Lied-Transkriptionen füllen ganze Bände. Klar, das ist auch Virtuosenfutter, es sind Schaustücke im besten Sinn, die den Ohren schmeicheln und mit brillanten Tastenturnereien die Sinne verwirren. Doch zugleich sind Liszts Transkriptionen viel mehr: kreative Auseinandersetzungen mit den Vorlagen, kleine Kunstwerke, die das zugrundeliegende Lied mit genuin pianistischen Mitteln in ein neues Licht rücken, oft gespickt mit geistvollen Anspielungen. Etwa, wenn Liszt das Zappeln der gefangenen Forelle gleich mitkomponiert. Wer braucht da noch einen Text?

Reiches Beziehungsgeflecht

Was für eine tolle Idee, Original und Bearbeitung auf einer CD unmittelbar miteinander zu konfrontieren! Eigentlich naheliegend, und trotzdem selten so zu erleben. Der französisch-zypriotische Pianist Cyprien Katsaris und der Tenor Christoph Prégardien haben ein Programm zusammengestellt, das mit jedem Track Freude bereitet. Die Kombinationen von Original und Bearbeitung zeichnen ein reiches Beziehungsgeflecht zwischen den großen Künstlern der Romantik. Liszt transkribiert Mendelssohn. Clara Schumann transkribiert Robert Schumann. Liszt transkribiert Clara. Liszt transkribiert Liszt. Schließlich kann man ja auch eigene Lieder bearbeiten.

Imaginärer Dialog

Immer wieder ist hübsch zu beobachten, wie sich die Versionen unterscheiden. Da kommen zusätzliche Klangebenen ins Spiel, da wird die Melodielinie mal in der Mittellage, mal im Diskant vom Klavier "gesungen" – als würden sich Männer- und Frauenstimmen in einem imaginären Dialog singend unterhalten.

Wunderbare Leichtigkeit

Cyprien Katsaris ist ein Meister des Anschlags, er kann wirklich singen auf seinem Steinway. Von seiner technischen Meisterschaft hat der 67-jährige nichts verloren. Und er vermittelt seine Entdeckerfreude an der einst so populären Gattung Liedtranskription mit jedem Takt. Christoph Prégardien ist einer der großartigsten deutschen Liedsänger. Seine Aufnahmen der Liedzyklen von Schubert und Schumann sind unübertroffen. Noch immer singt er mit wunderbarer Leichtigkeit, auch wenn laute und hohe Passagen manchmal nicht mehr ganz so unangestrengt klingen wie früher. Die oft wunderschönen Gedichte verkörpert er, fühlt er, denkt und genießt er – anstatt pedantisch Konsonanten zu spucken. Alles in allem ein großer Genuss.

"Auf den Flügeln des Gesanges"

Lieder und Transkriptionen von
Franz Schubert,
Felix Mendelssohn Bartholdy,
Franz Liszt,
Richard Wagner,
Hugo Wolf,
Richard Strauss,
Johannes Brahms
u.a.

Christoph Prégardien (Tenor)
Cyprien Katsaris (Klavier)

Label: Challenge Classics

Sendung: "Leporello" am 29. November 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK