BR-KLASSIK

Er gilt als einer der bedeutendsten Komponisten unserer Gegenwart: der im heutigen Rumänien geborene Ungar György Kurtág. Mit 91 Jahren zählt er zur Generation der großen europäischen Komponisten der Nachkriegszeit. Einen umfassenden Einblick in sein Schaffen gibt nun eine schöne Box mit 3 CDs. Unter der Leitung des niederländischen Dirigenten Reinbert de Leeuw ist in enger Zusammenarbeit mit György Kurtág eine Gesamteinspielung aller Stücke für Ensemble und Ensemble mit Chor oder Solisten entstanden.

Bildquelle: ECM

Der CD-Tipp zum Anhören

Es sind die kleinen Gesten, die György Kurtág interessieren, der entscheidende Moment, der nur dann und nicht verzögert innerhalb eines musikalischen Ablaufs stattfinden muss. Kaum ein anderer Komponist der Gegenwart arbeitet so hart und so bewusst an der maximalen Verdichtung. Sein Anliegen beschrieb Kurtág selbst in einem Gespräch mit dem nur zwei Jahre älteren Komponistenkollegen Luigi Nono: "Er fragte mich, was ich will. Und dann formulierte ich mir selber auch zum ersten Mal, dass ich mit den wenigsten Tönen so viel und so dicht wie möglich etwas formulieren möchte und in vokaler Musik, d.h. etwas zu finden, wo Text und Musik beinahe identisch sind."

Musik auf engstem Raum

Botschaften, Spiele, Fragmente oder Grüße: Die Musik von György Kurtág entfaltet sich auf engstem Raum. Einige Stücke dauern nur wenige Minuten oder gar Sekunden. Die große Bühne ist Kurtágs Sache sicher nicht. Lange und immer wieder feilt und überarbeitet er Kompositionen. So ist der Werkkatalog bis heute übersichtlich geblieben, mit wenig Symphonik, dafür umso mehr instrumentaler und vokaler Kammermusik.

Vom Liederzyklus zum Klavierkonzert

Diesem Kernrepertoire hat sich der Dirigent Reinbert de Leeuw mit dem Ensemble Asko|Schönberg und hervorragenden Solisten angenommen. Über einen Zeitraum von drei Jahren sind in enger Zusammenarbeit mit dem Komponisten Aufnahmen von Ensemble- und Kammermusikstücken entstanden, die Kurtág zwischen 1959 bis 2011 geschrieben hat. Dass die CD-Edition im Titel die Gesamtaufnahme von Ensemble- und Chorwerken ankündigt, ist dabei etwas missverständlich, weil etwa auch Lieder für Solostimme mit dabei sind. Sei's drum. Mit eher unbekannten Stücken wie den vier Cappricios für Sopran und Ensemble oder dem reinen Instrumentalstück "Brefs Messages" einerseits, dem grandiosen Liederzyklus "Die Botschaften des verstorbenen Fräuleins Troussova" oder dem Klavierkonzert "…quasi una fantasia…" andererseits kann man sich wunderbar mit Kurtágs Klangwelten vertraut machen.

Umfassende Dokumentation

Die Musik von György Kurtag klingt nicht immer nur "schön" im herkömmlichen Sinn. Aber immer: intensiv, konzentriert, energetisch. Vielleicht ist das eine oder sogar die zentrale Eigenschaft von Kurtágs Kompositionen: Weniger ist mehr. Musikalische Energie wächst nicht in der Masse, sondern durch Konzentration und Reduktion der Mittel. Das bringen die Interpreten dieser Aufnahmen überzeugend zum Ausdruck. Reinbert de Leeuw, das Ensemble Asko|Schönberg, der Niederländische Rundfunkchor und Solisten wie die Pianistin Tamara Stefanovich oder der Cellist Jean-Guihen Queyras bringen die Musik von Kurtág in ihrer fragilen Intensität grandios zum Klingen. Das Booklet enthält alle Liedtexte mit Übersetzungen, ein Interview mit Reinbert de Leeuw, mehrere Begleittexte und eine persönliche Anmerkung von György Kurtág. So ist diese neue Edition eine umfassende Dokumentation des Oeuvres, vor allem aber: herausragende Gegenwartsmusik.

Sendung: "Piazza" am 08. Juli 2017, 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK