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CD - Lisa Batiashvili "Visions of Prokofiev"

Schutzlos klingt die Geige: Eine ganz einfache, schlichte Melodie, die immer weiter hinauf steigt, untermalt nur von kaum hörbaren, flirrenden Streichern. Immer höher klettert das Soloinstrument in die Stratosphären der E-Saite, immer heller leuchtet der Ton. Bis plötzlich groteske Triller die Idylle zerstören. Der schwärmerische Anfang von Prokofjews Erstem Violinkonzert ist unvergesslich – und gehört für mich zum Schönsten, was für Geige komponiert wurde. Zumal die Melodie zweimal wiederkehrt: jedes Mal ein Gänsehautmoment. Jedenfalls wenn Lisa Batiashvili spielt.

CD-Cover: Lisa Batiashvili - "Visions of Prokofiev" | Bildquelle: Deutsche Grammophon

Bildquelle: Deutsche Grammophon

Der CD-Tipp zum Anhören

Doch der unvergleichliche Zauber ist zerbrechlich: Wenn sich der Solist verführen lässt, zu viel Süße in den Ton zu legen, zu viel Bogendruck, Vibrato und Sentimentalität, dann bleibt die Musik am Boden haften. Bei Lisa Batiashvili scheint sie sich von der Erde zu lösen.

Natürlichkeit als Stärke

Lisa Batiashvili wird international längst als absolute Spitzeninterpretin wahrgenommen. Nur in ihrer Wahlheimat München scheint man das noch nicht in vollem Umfang mitbekommen zu haben. Was auch daran liegen mag, dass ihre Kunst beim ersten Hinhören so gar nicht spektakulär ist. Batiashvili ist eine starke Bühnenpersönlichkeit, aber nicht der Typ, der irgendeine Show abzieht. Sie hat die Fähigkeit, sich emotional hundertprozentig an den Moment hinzugeben. Deshalb kommt sie ohne alles Demonstrative aus. Sie drückt nicht drauf, sie lässt die Musik fließen. Ihre Stärke ist die Natürlichkeit, sie hat es nicht nötig, sich oder das Werk interessant zu machen. Und gerade deshalb ist sie eine ideale Interpretin für das Erste Violinkonzert von Prokofjew. Dieser Musik ist nur gewachsen, wer die rätselhafte Fähigkeit hat, durch Schlichtheit umso tiefer zu berühren.

Ohne Theatralik

Was natürlich nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass Lisa Batiashvili eine überragende Technik hat. Drum braucht sie auch kein theatralisches Virtuosengehabe. Die schwierigsten Läufe sprudeln wie frisches Wasser, unangenehme Doppelgriffe fliegen lässig über die Saiten, heikle Spitzentöne sitzen mit perfekter Intonation, als wär‘s die erste Lage. So ist es auch in den schnellen Sätzen vor allem Batiashvilis Natürlichkeit, die verblüfft: Alle Energie richtet sich auf die Musik, auf Sinn und Ausdruck, nicht auf die Bewältigung von Schwierigkeiten.

Hohes orchestrales Niveau

Mit Yannick Nézet-Séguin und dem Chamber Orchestra of Europe hat Lisa Batiashvili technisch ebenbürtige und musikalisch einfühlsame Begleiter. Zwar ist Prokofjews Zweites Violinkonzert nicht ganz so inspiriert wie das unvergleichlich schöne Erste. Aber zumindest der langsame Satz mit seiner weit ausschwingenden Melodie bietet Batiashvili eine weitere Gelegenheit, ihre ganz besondere Stärke auszuspielen: Sie kann singen auf ihrem Instrument, wunderbar natürlich und gerade darum tief berührend.

Lisa Batiashvili - "Visions of Prokofiev"

Sergej Prokofjew:
Violinkonzert Nr. 1 D-Dur, op. 19
Violinkonzert Nr. 2 g-Moll, op. 63
Ausschnitte aus "Romeo und Julia", "Cinderella" und "Die Liebe zu den drei Orangen" (arr. Tamás Batiashvili)

Lisa Batiashvili (Violine)
Chamber Orchestra of Europe
Leitung: Yannick Nézet-Séguin

Label: Deutsche Grammophon

Sendung: "Leporello" am 13. Februar 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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