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CD - Michail Lifits spielt Werke von Dmitrij Schostakowitsch

Wer gerade, wie ich, den wunderbaren neuen Schostakowitsch-Roman "Im Lärm der Zeit" von Julian Barnes liest, für den ist diese CD die ideale Begleitung in diesen Tagen. Für alle anderen Schostakowitsch-Fans natürlich auch. Was der Roman eindrucksvoll schildert, ein Leben, das an Stalin zerbricht, kann man hier hörend nachvollziehen.

CD-Cover Michail Lifits spielt Werke von Dmitrij Schostakowitsch | Bildquelle: DECCA

Bildquelle: DECCA

CD-Tipp vom 28.04.2017

Michail Lifits spielt Werke von Dmitrij Schostakowitsch

Zwei großartige, aber völlig konträre Werke stellt der Pianist Michail Lifits einander gegenüber: Das eine entstand kurz vor der großen Zäsur in Schostakowitschs Leben, das andere danach. Die große Zäsur, das war der berüchtigte Schmähartikel "Chaos statt Musik", der 1935, von Stalin persönlich veranlasst, in der Parteizeitung Prawda erschien. Vor diesem Artikel war Schostakowitsch der unumstrittene Jungstar, gefeiert als "sowjetischer Mozart", von Erfolg zu Erfolg eilend, von den Parteioffiziellen nach vorn geschoben als lebender Beweis für die Überlegenheit der kommunistischen Kultur. Nach dem Artikel lebte Schostakowitsch in permanenter Angst vor Verhaftung und Straflager.

Kaleidoskop des Allzumenschlichen

Vor der großen Zäsur schrieb er bissige, ungemein witzige Musik, oft kaltschnäuzig und satirisch, drastisch und sarkastisch. Kurz und knapp auf den Punkt -geistvoll und ziemlich frech, aber auch voller schräger Poesie und unerwarteter Wendungen, manchmal auch versonnen und meditativ, immer ein bisschen surreal: Das 24 Préludes op. 34, vollendet 1933, sind ein Werk des experimentierfreudigen, erfolgsverwöhnten und respektlosen Jungstars. Mit augenzwinkernder Ironie verneigt er sich vor seinen großen Vorgängern Bach und Chopin. Wie bei diesen gehen die kontrastreichen Miniaturen durch alle 24 Dur- und Moll-Tonarten. Michail Lifits gibt den eigenwilligen, kleinen Wunderwerken maximale Prägnanz. In jeder überraschenden Wendung wirkt das sprechend, poetisch und plausibel. Nichts verfestigt sich, aber zugleich verflüchtigt sich auch nichts, weil Lifits nie überzeichnet. Er lässt die Pointen aufleuchten, ohne sich in bloßen Gags zu verlieren. Und präsentiert uns den jungen Schostakowitsch als großen Psychologen: Diese 24 Préludes sind weit mehr als Sammlung spöttischer Aphorismen, sie sind ein tiefsinniges Kaleidoskop des Menschlich-Allzumenschlichen.

Reifes Meisterwerk

Ganz anders, viel staatstragender, pathetischer, klanggewaltig und formal weit ausgreifend zeigt sich der reife Schostakowitsch. Nach der vernichtenden Kritik in der Prawda hatte sich sein Leben von einem Tag auf den andern radikal verändert. Zeitweise schlief er mit gepacktem Koffer neben dem Bett, weil er Nacht für Nacht erwartete, dass ihn der Geheimdienst verschleppt. Doch Stalin spielte gern Katz und Maus mit den Künstlern. Für das 1940 entstandene Klavierquintett, eines seiner reifen Meisterwerke, bekam Schostakowitsch sogar den begehrten Stalinpreis. Zu Stalins Inszenierung der Macht gehörte eben auch die Unberechenbarkeit. Aber Schostakowitsch schrieb nun auch tatsächlich weniger exzentrisch. An Wahrhaftigkeit und emotionaler Kraft hatte seine Musik jedoch nichts eingebüßt - in diesem Punkt blieb er, trotz aller äußerlichen Anpassung, künstlerisch kompromisslos.

Für das Klavierquintett hat sich Michail Lifits mit dem polnischen Szymanowsky Quartett zusammengetan. Gelegentlich könnte man sich bei den Streichern noch reichere Klangfarben vorstellen. Aber die emotionale Dichte und die stimmige Balance zwischen Klavier und Quartett machen auch diese Interpretation überzeugend. Kaum zu glauben, dass nur siebe Jahre zwischen diesen grundverschiedenen Werken liegen. In Julian Barnes‘ Roman kann man nachlesen, wie Schostakowitschs Leben in zwei Hälften zerbrach. Hören kann man es auf dieser schönen CD.

Michail Lifits spielt Werke von Dmitrij Schostakowitsch

Dmitri Schostakowitsch:
24 Préludes op. 34
Klavierquintett op. 57

Michail Lifits (Klavier)
Szymanowsky Quartett

Label: Decca

Sendung: "Leporello" am 28. April 2017, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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