Zum Nielsen-Jubiläum - der Geburtstag des dänischen Komponisten jährt sich heuer zum 150. Mal - haben gleich zwei Dirigenten mit ihren Orchestern eine Gesamtaufnahme der sechs Symphonien des dänischen Komponisten abgeschlossen: Alan Gilbert mit den New Yorker Philharmonikern und Sakari Oramo mit dem Royal Stockholm Philharmonic Orchestra. Seit 2008 leitet Oramo das schwedische Traditionsorchester. Von der besonderen Qualität dieser Zusammenarbeit zeugt auch die aktuelle letzte Folge ihres Nielsen-Zyklus mit der Zweiten und Sechsten Symphonie.
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CD-Tipp 22.04.2015
Carl Nielsen: Symphonien Nr. 2 und 6
Mit einem Furor sondergleichen, mit einer kraftstrotzenden Energie und pulsierenden Vitalität kommt Carl Nielsen in seiner Zweiten Symphonie von 1902 sofort zur Sache – und die ist im Kopfsatz cholerischer Natur. Denn Nielsen ließ sich von einer alten Darstellung der vier Temperamente zu seiner gleichnamigen Symphonie inspirieren. Assoziativ übertrug er die vier Gemütszustände auf die klassischen Satzmodelle.
Mit atemberaubender Intensität lassen Sakari Oramo und sein Royal Stockholm Philharmonic Orchestra die weitgespannten Melodiebögen Nielsens frei aussingen. Dazu kommt ein Sinn für rhythmische Präzision und federnde Eleganz, den man vor allem für die über zwanzig Jahre später entstandene Sechste Symphonie braucht. Nielsen nannte sie "Sinfonia semplice" – dass hier nichts so einfach ist, wie es scheint, zeigt sich schon in der höchst eigentümlichen Humoreske. Da wird eine harmlose folkloristische Klarinetten-Melodie unversehens durch freche Querschläger und Posaunen-Glissandi à la Edgard Varèse ironisch verzerrt.
Nielsens Sechste Symphonie ist ein hochoriginelles, kunstvolles und bizarres Kaleidoskop, das Schostakowitschs Doppelbödigkeit quasi vorausahnt. Im finalen Variationssatz treibt Nielsen sein polystilistisches Vexierspiel auf die Spitze. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, wie sich hier etwa Schlagwerk und Tuba einen makabren Totentanz liefern. Oder wie einem eingängigen Walzer durch grelle Störfeuer jeglicher Charme gewaltsam ausgetrieben wird.
Semplice? Von wegen einfach. Alles andere als leicht zu spielen ist die sechste Symphonie von Carl Nielsen nämlich auch noch. Man kann die instrumentale Brillanz der Stockholmer Philharmoniker gar nicht genug rühmen. Mit schneidender Schärfe, tänzerischem Schwung und unbändiger Musizierlust macht Sakari Oramo Nielsens Partituren zum packenden Hörerlebnis. Der fantastische Klang dieser Surround-Produktion tut ein Übriges dazu. Etwas Besseres wird man im Nielsen-Jahr 2015 kaum finden.
Symphonie Nr. 2 op. 16 "Die vier Temperamente"
Symphonie Nr. 6 WoO "Sinfonia semplice"
Royal Stockholm Philharmonic Orchestra
Leitung: Sakari Oramo
Label: BIS