BR-KLASSIK

"Was war? Was ist? Was kehrt wann wie wieder?" Im Modus des Lauschens nach innen stellt sich Nikolaus Brass immer wieder solch’ schwerlich beantwortbare Fragen. Musikalische Arbeit, so hat er es einmal formuliert, "ist Arbeit am Abbild der Zeit" und "Zeit kann nur erinnernd, d.h. vergleichend wahrgenommen" werden.

Bildquelle: NEOS Music

CD-Tipp 15.09.2015

Der CD-Tipp zum Nachhören!

Ein kammermusikalisches Beispiel für die Kunst des 1949 in Lindau am Bodensee geborenen Komponisten, der auch mit hochintensiven Orchester- und Chorwerken sowie szenischen Stücken hervorgetreten ist, gibt sein 2008 uraufgeführtes Streichquartett Nr. 4. Eingespielt vom EnsembleCoriolis – das sind Muriel Cantoreggi und Michaela Buchholz, Violinen, Klaus-Peter Werani, Viola und Hanno Simons, Violoncello – ist das fast eine Stunde dauernde Werk jüngst auf CD erschienen. "Katalog der Erinnerung" – "symbolum crucis" – "quod est" – "Dialoghi d’amore" und "super omne" – so lauten die Titel der fünf Sätze.

Bestechend sichere Intonation

Auch ohne darum zu wissen, dass dem musikalischen Material des Werkes das Kreuz-Symbol eingewoben ist und es sich bei manchen Passagen um Meditationen über Worte aus dem Philipper-Brief des Paulus handelt: Auf differenzierte Weise scheint die Musik des Streichquartetts Nr. 4 immer wieder Saiten zur Resonanz zu bringen, die in Gefilden des Transzendenten verortet sind. Brass ist ein Meister qualitativer "Wachstums- und Absterbe-Prozesse". Er bringt filigrane Strukturen zum Atmen und versteht sich darauf, mit mikrointervallischen Klangmodulationen und Bewegungs-Intensitäten zu spielen und das Zeitempfinden der Hörer zu unterlaufen. Da gibt es Passagen von zarter, scheuer, lichtdurchfluteter Schönheit und solche, die geradewegs ins Zentrum des Schmerzes führen. Und die Musiker des EnsembleCoriolis durchmessen die Weiten dieser vielschichtigen Echowelt mit stetiger Präsenz und Gestaltungskraft. Allerdings: nix da "easy listening"! Auch als Hörer sollte man sich öffnen und wirklich einlassen auf diese Musik; auf ihre wunderbaren Anmutungen, aber auch auf so manche, den widrigen Aspekten der Wahrheit abgelauschten Zumutungen. Dann entfaltet sie sich wie ein Gleichnis, das für Tiefendimensionen des Lebens steht.