BR-KLASSIK

Die nur 38-sekündige Einleitung meistert Nils Landgren ganz allein. Mehrfach geschichtete Posaunen erklingen wie ein fernes Echo, und doch: Dieses Stück von Leonard Bernstein erkennt man schon beim ersten Ton. Dieser hohe Wiedererkennungswert ist eine Qualität der Songs von Bernstein, insbesondere der "West Side Story" – und man assoziiert mit ihnen natürlich reflexartig die Originalform. Vielleicht ein Grund, warum sich Jazzer an diese Stücke so selten bis gar nicht heranwagen. Denn: naheliegend genug wäre es ja.

Bildquelle: Act

CD-Tipp 03.02.2016

Nils Landgren: "Some Other Time"

Wie so eine Adaption funktionieren kann, zeigt der schwedische Posaunist Nils Landgren auf "Some Other Time" höchst eindrucksvoll. Die exquisite Rhythmusgruppe aus Jan Lundgren, Klavier, Dieter Ilg, Bass und Wolfgang Haffner am Schlagzeug wird ergänzt von Musikern der Bochumer Symphoniker. Der sechsfache Grammy-Gewinner Vince Mendoza übernahm die Arrangements und wollte wohl von vornherein süßlich klebrige Streicherklischees vermeiden: Es agieren hier lediglich die Holz- und Blechbläser. Vince Mendoza sorgt auch am Dirigentenpult für den orchestralen Touch.

New York Vibes

Und dann ist da noch Janis Siegel. Als Sängerin und Gründungsmitglied der berühmten Vokalformation "Manhatten Transfer" hat sie die New York-Vibes in den Genen. Eine bewegliche und ausdrucksstarke, grundsätzlich jazzige Stimme mit der großen Bandbreite detailreicher Artikulation, die auch guten Musical- oder Broadway-Sängern zu eigen ist. Man kann sich kaum eine bessere Sängerin für diese Musik vorstellen

Warm-flexibler Posaunenton

An ihrer Seite tritt Nils Landgren auch als Sänger auf. Seine Stimme ist, gerade im Kontrast zu Janis Siegel, zurückhaltend und betont schlicht, fast schon zerbrechlich. Auch Landgrens großer, warm-flexibler Posaunenton tastet in den Improvisationen vorsichtig und einfühlsam die tiefer liegenden Schichten ab. Nils Landgren kreiert eine ganz persönliche, privat wirkende Atmosphäre, die man vordergründig erst einmal nicht mit dem extrovertierten Bernstein verbindet.

Brilliant arrangierte Vorlagen

Einige Stücke werden in reduzierter Besetzung nur vom Jazztrio begleitet, was diesen z.T. sehr intimen Charakter noch verstärkt. Auch wird die Orchesterfarbe so nicht überbetont und bleibt etwas Besonderes. Und er funktioniert tatsächlich bestens, dieser Mix aus hochwertigster Besetzung und den brilliant arrangierten Vorlagen Bernsteins, die neben den Dauerbrennern der "West Side Story" auch Musik aus "On the Town" und "Wonderful Town" wieder in Erinnerung bringen. Eine CD, die viel Spaß macht und die unvergesslichen Stücke Bernsteins einmal anders, aber durchaus wiedererkennbar zu Ohren bringt.