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CD - Orazio Vecchi Requiem

Normalerweise strömt Renaissancemusik sanft dahin - licht, leidenschaftslos und manchmal auch ein bisschen langweilig. Aber seit es das belgische Ensemble Graindelavoix gibt, ist alles anders. Plötzlich ist Renaissancemusik das, was einem Schauer über den Rücken jagt - zum Beispiel in der Ersteinspielung von Oriazio Vecchis Requiem.

Orazio Vecchi - Requiem | Bildquelle: Glossa

Bildquelle: Glossa

Der CD-Tipp zum Nachhören

Renaissancemusik - da denkt man sofort an Musik, die sanft dahinströmt, erhaben und weltenthoben, licht und leidenschaftslos und vielleicht auch ein bisschen langweilig. Normalerweise. Denn seit es das belgische Ensemble Graindelavoix gibt, ist alles anders.

Schauer über den Rücken

Plötzlich ist Renaissancemusik das, was einem Schauer über den Rücken jagt. Hochexpressiv, hochemotional. Wer Graindelavoix einmal live erlebt hat, weiß: Die singen um ihr Leben. Die Sänger kommen aus heterogenen Kulturräumen, so wie damals womöglich auch die Sänger an den Hofkapellen. Ihre Stimmen sind rau, ihre Techniken nicht domestiziert, die Verzierungen archaisch. Und das bewirkt, dass die Musik der Renaissance nicht mehr irgendwo dort droben am Himmel schwebt, sondern ganz direkt etwas mit uns zu tun hat. Mit unseren irdischen Hoffnungen und Ängsten.

Tiefschwarze Musik

Man soll diese CD im Dunkeln hören, sagt Ensembleleiter Björn Schmelzer: Und in der Tat: Es ist tiefschwarze Musik. Ein Requiem, eine Totenmesse, von Orazio Vecchi. Der wirkte im späten 16. Jahrhundert in Modena und ist eigentlich für seine Madrigalkomödien bekannt. Hier aber ist Vecchi bitterernst. In Zentrum steht ein doppelchöriges Dies irae, das die Schrecken des Jüngsten Gerichts beschwört. Mit drohenden Bässen und bänglich wimmernden Altisten. Mit chromatischen Rückungen, die einem den Boden unter den Füßen wegziehen. So suggestiv ist das, dass man glatt wieder Angst vor der Hölle bekommen könnte.

Klangsatt und voluminös

Nicht nur Vecchis Requiem wurde hier zum ersten Mal überhaupt aufgenommen, sondern auch die übrigen, kleineren Mess-Kompositionen auf dieser CD. Ein kontrastreiches Sanctus von George de La Hèle zum Beispiel. Oder ein tröstliches, weit aussingendes Agnus Dei des Spaniers Pedro Ruimonte, mit dem das verstörende Album gegen Ende doch noch zur Ruhe kommt. Dabei wirkt das Ensemble Graindelavoix stets klangsatt und voluminös, und doch ist jede Stimme deutlich von den anderen zu unterscheiden.

Im Dunkeln hören

Nur einen Makel hat die CD, und das ist der Booklettext von Ensembleleiter Björn Schmelzer. Darin finden sich schöne, aber leider völlig sinnfreie Sätze wie "Barock ist gleichbedeutend mit der Kunst der Verkleidung" oder der merkwürdige Versuch, aus der Musik des italienischen Renaissance-Komponisten Vecchi einen neuartigen Typus des holländischen Barock abzuleiten. Auch den Beweis für die werbewirksame Behauptung, Vecchis Requiem sei zum Begräbnis des Malers Peter Paul Rubens gesungen worden, bleibt Schmelzer schuldig. Am besten also: das Booklet zuklappen, Leselampe ausschalten und die CD tatsächlich im Dunkeln hören. Denn die Erleuchtung kommt allein aus der Musik.

Orazio Vecchi - Requiem

Orazio Vecchi, Paolo Bravusi, George de La Hèle, Pedro Ruimonte, Duarte Lobo

Requiem, Missa Praeter rerum seriem, Missa Ave Virgo Sanctissima, Missa Dum aurora

Graindelavoix
Leitung: Björn Schmelzer

Label: Glossa

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