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CD - Cameron Carpenter "If you could read my mind"

Cameron Carpenter: Orgeltranskriptionen "If you could read my mind" | Bildquelle: SONY Classical

Bildquelle: SONY Classical

CD-Tipp - 23.04.2014

Der CD-Tipp zum Anhören

Er ist der bunte Vogel der Orgelszene: Mühelos füllt der Amerikaner Cameron Carpenter Konzertsäle und führt Menschen an das Instrument heran, die nie gedacht hätten, jemals in ein "Orgelkonzert" zu gehen. Doch Carpenters Orgelkonzerte sind anders. Keine sakrale Verinnerlichung sondern titanenhafte Virtuosität, die die Königin der Instrumente vor allem mit nichtsakralen Werken erbeben lässt. Jetzt hat sich Cameron Carpenter auch noch den Traum einer eigenen Tourorgel erfüllt, ein digitales Instrument, das er überall hin mitnehmen kann, und das alle Sounds und Register parat hält, die man sich als Orgelklang überhaupt nur vorstellen kann. Wo andere Künstler Geigen, Flöten oder Klarinetten auspacken, lässt Carpenter seit März flugs seine zerlegbare Giganto-Digital-Orgel zusammenbauen. Pünktlich zur ersten Tournee erschien soeben seine neue CD mit diesem Instrument.

Wo Cameron Carpenter, der exzentrische Organist aus Massachusetts, drauf steht, da ist auch Cameron Carpenter drin! Als Organist verkörpert er all das, was gemeinhin so rein gar nicht mit dem Bild eines Organisten verknüpft wird. Popkultur schon beim Outfit mit Irokesenschnitt und Unterhemd, das den bodybuildinggestählten Oberkörper muskulös in Szene setzt - und inhaltlich geht es schon gar nicht "heilig" zu. Carpenter reißt die Orgel aus den Kirchenräumen, zerrt sie auf die Konzertbühnen die Welt und lässt ihre und seine Muskeln spielen.

Wer dem Instrument als junger Mensch erstmals auf einer Hammondorgel begegnet ist, die zudem noch in der Metallwerkstatt seines Vaters stand, und dort inmitten beinharter Industriemaloche zu üben beginnt, kann wohl gar nicht anders!

Hinreißend bunt

Entsprechend unerschrocken hat er auf dieser jüngsten CD abermals ein Potpourri von Bearbeitungen bekannter klassischer Werke sowie Popklassikern neben Original-Orgelwerke gestellt: Leonard Bernsteins "Candide"-Ouvertüre neben Marcel Duprés "Variations Sur un noël pour Grand orgue" op. 20, die Bearbeitung der Ouvertüre aus Johann Sebastian Bachs 1. Cello-Suite neben Popklassikerbearbeitungen von Leonard Cohen oder Gordon Lightfoot, der den Evergreen "If you could read my mind" schrieb. Dieser Titel ist das Motto der CD - und die Bearbeitung Carpenters lässt uns in seinen Gedanken lesen: die Welt der Töne hat Drive und Rhythmus und ist hinreißend bunt.

Revoluzzer der Orgel

Ja, aber was hat er sich denn nun bei der Zusammenstellung dieser CD gedacht? Als erstes wohl, wie er seinen soeben verwirklichten Traum von seiner besten Seite präsentieren kann - und dieser Traum ist seine erste eigene Orgel. Gemeinsam mit den Digitalorgelbauern Marshall & Ogletree entwickelte er seine Touring Orgel, ein komplexes Instrument aus gesampelten Originalpfeifen- und digitalen Klängen. Alles, was man sich an Registern und Farben zwischen großer Domorgel und Wurlitzer vorstellen kann, ist in dieser Orgel vorhanden. Jetzt kann er auf der ganzen Welt seinen Soundtraum für die Stücke überall gleich verwirklichen, und ist nicht mehr auf die Gegebenheiten der einzelnen Instrumente vor Ort angewiesen. War Carpenter schon von Beginn an der Revoluzzer der Orgel und somit eine ganz eigene Marke - jetzt ist die Marke Carpenter ganz und gar unverwechselbar!

Orgel goes "Unheilig"

Und wie sind sie nun, die Arrangements? Funktioniert das Konzept "Orgel goes UNHEILIG"? So kunterbunt die Musikvilla Carpenters auf den ersten Höreindruck scheint, so ernsthaft und professionell führt er uns durch eine Musikliteratur, die den Lakmustest, Orgelfähig zu sein, besteht. Selten hat man Bernsteins "Candide"- Ouvertüre burlesker und augenzwinkernder gehört, Rachmaninows "Vocalise" versonnener, Piazzollas "Oblivion" brüchig-verträumter und -ja! - Bachs Orgelsonate Nr. 6 im Original liebevoller. Carpenter will, so lässt er uns im Booklet wissen, die Extase der Musik spüren - Verzückung und Entrücktheit. Das mag der ein oder andere naiv oder kitschig finden. Ist es in diesem Album aber nicht. Denn Extase heißt auch Entgrenzung - und die läuft durch Carpenters neue CD wie in einem imaginären Film konsequent durch. Bad Boy Carpenter? No, he is a good guy!

Cameron Carpenter -"If you could read my mind"

Orgeltranskriptionen - Musik von
Johann Sebastian Bach, Leonard Bernstein, Cameron Carpenter, Astor Piazzolla, Sergej Rachmaninow, Alexander Skrjabin
Cameron Carpenter (Orgel)
Label: SONY Classical

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