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Er liebte die weltlichen Freuden nur allzu sehr - die Jagd, Karnevalsumzüge, rauschende Feste: Leo X. war für die Kirchengeschichte ein verhängnisvoller Papst. Sein Lebensstil riss tiefe Löcher in die Kassen des Vatikans, seine Prunksucht wurde zum Auslöser für Luthers Reformation. Ein Kirchenoberhaupt, das sich wie ein Renaissancefürst benahm - kein Wunder eigentlich: Entstammte Leo X. doch der reichen Florentiner Kaufmannsfamilie der Medici. Sein Vater hatte die Strippen gezogen, damit sein Sohn schon als Kind zum Kardinal erhoben wurde. Erst nachdem Leo dann 1513 zum Papst gekürt worden war, wurde die Priesterweihe hastig nachgeholt. Die Papstwahl führte die Medici auf den Höhepunkt ihrer Macht - und die Christenheit direkt in die Kirchenspaltung.
Doch Leo X. hielt sich nicht nur Elefanten und einen Hofnarren, er machte Rom auch wieder zu einem Zentrum der Künste. Den Maler Raffael berief er zum Bauleiter des Petersdoms, er verschaffte Michelangelo lukrative Aufträge, vor allem aber war er ein leidenschaftlicher Musiker. Er ließ sich für den Eigengebrauch eine Orgel aus Alabaster bauen, in den Wohnräumen des Vatikanpalasts spielte die Hofmusik, zum Mittagsmahl auf der Engelsburg wurden Motetten gesungen. Und Papst Leo komponierte sogar.
Das alles lässt sich sinnlich nacherleben auf der neuen CD des Basler Ensembles La Morra - in einer Vielfalt, die erstaunlich ist: Erstaunlich nicht nur wegen der weitgespannten Interessen des Papstes, sondern auch, weil das gerade mal elfköpfige Ensemble so viele gegensätzliche Genres, Stile und Besetzungen hervorzuzaubern vermag: von der einsamen Lauten-Intabulierung bis zur vielstimmigen Motette, vom intimen Sologesang bis zum ausgelassenen Tanz, von der frommen Litanei bis zur übermütigen Frottola.
Ob unterhaltsam oder anrührend: die Musiker unter der Leitung der Blockflötistin Corina Marti und des Lautenisten Michał Gondko treffen stets den richtigen Tonfall, die Instrumentalsätze sind stilsicher arrangiert, nur bei den virtuosen großbesetzten Stücken verschwimmt gelegentlich das Klangbild. Ein Projekt, bei dem musikwissenschaftliche Forschung und quicklebendige Aufführungspraxis auf beispielhafte Weise Hand in Hand gegangen sind. Mag sein, dass Papst Leo X. für die Kirchengeschichte eine Katastrophe war - für die Musikgeschichte und für uns heute ist er ein Glücksfall.
Papst Leo X., Rossino Mantovano, Domenico da Piacenza, Antoine Bruhier, Francesco Canova da Milano, Michele Pesenti, Bernardo Pisano, Nicolaus Craen, Elzéar Genet, Marco Antonio Cavazzoni, Heinrich Isaak, Jean Mouton, Josquin Desprez
La Morra
Label: Ramée