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CD - Franz Schubert Werke für Klavier zu vier Händen

"Divertissement sur des motifs originaux français": Auf Deutsch etwa: "Musikalischer Zeitvertreib über echte französische Melodien“. Wahrscheinlich im Jahr 1824 komponierte der Wiener Tonsetzer Franz Peter Schubert ein dreisätziges Werk für Klavier zu vier Händen mit diesem Titel, im Deutsch-Verzeichnis hat es die Nummer 823, und – Hand aufs Herz – kennen tut es kaum jemand.

CD-Cover: Franz Schubert - Werke für Klavier zu vier Händen | Bildquelle: EtCetera

Bildquelle: EtCetera

CD-Tipp 21.01.2016

Der CD-Tipp zum Nachhören!

Nun. Man legt die CD ein und merkt auf angesichts des düsteren, schmerzlich-heroischen Marsches, der da so brüsk anhebt. Dann kommt das zweite Thema, und plötzlich hat man ein mulmiges, auf jeden Fall irgendwie existenzielles Gefühl im Bauch, oder man möchte so etwas wie niederknien, und/oder vielleicht begreift man plötzlich Theodor W. Adornos scharfsinniges Aperçu: "Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen: Wir weinen, ohne zu wissen warum; weil wir so noch nicht sind, wie jene Musik es verspricht.“ Und, sich besinnend, ahnt man: Dieser Titel ist Fake, ist eine Lüge. Diese auf der Kante zum Abgrund balancierende Musik als "musikalischen Zeitvertreib“ zu bezeichnen: eine Irreführung, und die angeblich "echten französischen Melodien“, die sind nur eines: echter, hundertprozentiger Schubert.

Dämonische Irrlichter

Ob Schuberts Verleger mit diesem Titel das Publikum täuschen konnte? Vermutlich nicht, dafür wird das gebildete Wiener Bürgertum der Zeit doch zu verfeinert gewesen sein. Unbenommen im Übrigen, dass es sich im Übrigen manchmal zu Recht schwer tun mochte mit einer Musik, die so dämonisch hin- und her-irrlichterte zwischen trotziger Trostlosigkeit und in surrealer Schönheit leuchtenden Erlösungsfantasien – unbenommen!

Schaurige Toten-Musik

Die meisten anderen Werke Schuberts, die der belgische Pianist Jan Vermeulen und seine Partnerin Veerle Peeters auf einem Original-Hammerflügel des zeitweilig in Wien wirkenden Klavierbauers Johann Nepomuk Tröndlin eingespielt haben, sind von ähnlich existenziellem Kaliber wie das Divertissement: Sowohl das überirdisch dahinschwebende späte A-Dur-Rondo als auch die riesige  f-Moll-Fantasie D940, diese schaurige Toten-Musik in vier Stationen eines 31 Jahre jungen Mannes, der sicher sein durfte, dass er eher früher als später jämmerlich an der Syphilis zugrunde gehen würde. Welche Ironie, dass es dann ein paar Monate später der Typhus war.

Ätherische Gesänge

Erlesen ist schon das Instrument, leuchtkräftig farbig in der Mittellage, kraftvoll und substanzreich im Bass, duftig und zugleich tragfähig nachschwingend in der Höhe, unabdingbar letzteres, um Schuberts ätherischen Gesängen Atem einzuhauchen. Erlesen ist aber auch die Interpretation: Vermeulen und Peeters kultivieren mit feinen Anschlagsnuancen den klaren, scharfen Blick auf Schuberts delikate Strukturen. Genau ziselierte Linien, rhythmische Prägnanz, federnde Tempi, keine gefühlsseligen Nebelbomben, keine Schlampereien. Stattdessen: subtile Gegenstimmen, Flirts mit kanonischen Stimmführungen, lodernde Fugati: Aha, dieser Mann schickte sich an, einer der größten Kontrapunktiker der abendländischen Musik zu werden. Erhellend, bewegend. Wer aber will, darf auch einfach nur weinen. Ganz ohne zu wissen, warum.

Franz Schubert: Werke für Klavier zu vier Händen

Divertissement über französische Motive e-Moll D. 823
Rondo A-Dur D. 951
Variationen über ein Originalthema B-Dur D. 603
Fantasie f-Moll D. 940
Jan Vermeulen, Veerle Peeters (Hammerflügel)
Label: Et'Cetera

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