Wie klingt eine Kindheit? Die von Jean Cras, seines Zeichens Konteradmiral und Komponist, war geprägt von zwei ganz unterschiedlichen Klangwelten: den Tönen des Klaviers in der elterlichen Wohnung und dem Rauschen der Wellen, die sich donnernd an der Hafenmauer brachen.
Bildquelle: Ars Produktion
Der CD-Tipp zum Anhören
In Brest in der Bretagne wurde Jean Cras 1879 geboren. Der Vater Marinearzt, die Mutter Hobbypianistin. Der Sohn verband beide Leidenschaften: Seefahrt und Musik. Zum Komponieren kam er bei ruhigem Wetter an Deck und auf Landgängen. 1926 wurde er Kapitän eines Kreuzers. Und er schrieb sein Streichtrio: klangverliebte, originelle, inspirierte Musik. Einflüsse von Debussy und Milhaud kann man hören, aber auch aus der französischen und der arabischen Volksmusik, die er auf seinen Reisen kennen lernte.
Das Streichtrio von Jean Cras: Eine tolle Entdeckung! Und eines von vier großartigen, aber fast nie im Konzert zu hörenden Stücken auf der neuen CD des französischen Trio Goldberg. Das Streichtrio als Gattung steht ja generell im Schatten des voller klingenden Streichquartetts. Immerhin haben Mozart und Beethoven für diese Besetzung Meisterwerke komponiert. Aber es gibt eben auch fantastische Musik abseits der ausgetretenen Pfade. Zum Beispiel das 1944 im KZ Theresienstadt entstandene Streichtrio des genial begabten Gideon Klein. Wenige Tage, nachdem er unter schrecklichen Umständen sein Trio vollenden konnte, wurde Gideon Klein nach Auschwitz deportiert, wo er ermordet wurde. 26 Jahre alt war er. Sein Streichtrio ist ein Meisterwerk: rau und wild, erfüllt von Schmerz, aber auch von Leidenschaft und Lebenshunger.
Ebenfalls Jude war Mieczyslaw Weinberg. Anders als Gideon Klein entkam er dem Holocaust: Im letzten Moment konnte er sich 1939 aus Warschau in die Sowjetunion retten. Weinberg war Schüler und enger Freund von Dmitrij Schostakowitsch. Sein Streichtrio entstand 1950. Vor allem der langsame Satz, ein verhaltener Klagegesang der drei Streicher, ist unmittelbar berührend.
Relativ bekannt, jedenfalls verglichen mit den drei anderen Werken, ist die Serenade für Streichtrio von Ernst von Dohnányi. Schwelgerisch spätromantisch, kurzweilig und voller zündender Einfälle: Ein dankbares Stück. Mit dem sich in diesem Kontext ein perfekt ausbalanciertes Album ergibt: Vier unbekannte Meisterwerke, jedes sinnlich und eigenwillig, jedes eine lohnende Entdeckung.
Das Trio Goldberg hat sich im Orchestre Philharmonique de Monte Carlo zusammengefunden. Aber die drei Streicher spielen auf einem völlig anderen Niveau als man das sonst von Orchestermusikern kennt, die ab und zu mal Kammermusik machen. Nicht nur das perfekte Zusammenspiel und die technische Brillanz machen staunen, sondern mehr noch die mitreißende Emotionalität ihres Spiels. Klar, reich wird man nicht mit solchen Projekten, gerade heutzutage, wo der CD-Markt im Sinkflug ist. Umso toller, was kleine Labels wie die Ars Produktion immer noch und immer wieder auf die Beine stellen!
Gideon Klein: Streichtrio
Ernst von Dohnányi: Serenade für Streichtrio op. 10
Mieczysław Weinberg: Streichtrio op. 48
Jean Cras: Streichtrio
Trio Goldberg
Label: Ars Produktion
Sendung: "Leporello" am 07. November 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK
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