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CD - Turtle Island Quartet "Bird's Eye View"

Ihr Land entstand auf dem Rücken einer Turtle, einer Riesenschildkröte. So will es der Schöpfungsmythos der indigenen Völker Nordamerikas. Als die Himmelsfrau durch das Loch in der Himmelswelt herabfiel, tauchte die Schildkröte aus den Tiefen des Meeres auf und breitete ihren Panzer aus. Auf diesem Rücken konnte die Himmelsfrau sanft und sicher landen. Was für ein faszinierendes Bild für den Einklang der Schöpfung!

CD-Cover: Turtle Island Quartet - "Bird's Eye View" | Bildquelle: Azica Records

Bildquelle: Azica Records

Der CD-Tipp zum Anhören

Mindestens ebenso faszinierend, wenn nicht atemberaubend, welche Punktlandung das Turtle Island Quartet mit seinem neuesten, inzwischen sechzehnten (!) Album "Bird’s Eye View" erneut hinlegt. Ein Album, das den großen Jazz-Saxophonisten Charlie Parker neben Miles Davis, Lee Konitz und Lohn Lewis würdigt und doch weit darüber hinaus zu aufregend neuen, kreativen musikalischen Ufern des Streichquartetts findet.

Evolutionäre Musizierpower

Weit lassen die vier Musiker von Turtle Island herkömmliche Genremuster hinter sich. Und das liegt vor allem daran, dass sie auch auf dieser neuen CD ihrem Anspruch treu bleiben, sich neben eigenen Arrangements auch mit eigenen Kompositionen einzubringen. Gründer David Balakrishnan und Alex Hargreaves auf der Violine (seit 2016 dabei), Benjamin von Gutzeit auf der Viola und Malcom Parson (ebenfalls 2016 dazu gestoßen) am Violoncello – aus dem Nukleus Parker & Co. scheinen sie pure improvisatorische Schöpfungslust und evolutionäre Musizierpower geradezu herauszusaugen. Von Bluegrass bis hin zu klassischer indischer Musik, von zeitgenössischer Avantgarde bis zur swingenden Jam-Session, von minimalistischer Repetition über Bebop und Rock bis zur poesievollen, romantischen Kantilene – die Helikopterperspektive der Turtles macht’s möglich. Mit Adleraugen schweben die vier Musiker über den scheinbar unvereinbaren Stilen der Musikwelt, scannen Strukturen von E- und U und entdecken: Verbindendes!

Experimentelle Kreativität

Wunderbar, wie das Quartett mit den Referenzen an den großen Jazz-Saxophonisten Charlie Parker spielt, dessen legendäre Improvisationsfantasie in eigene experimentelle Kreativität münden lässt. Parker & Co. gibt den vier exzellenten Streichern einen großartigen Schub. Und die vier halten die Flughöhe in jeder Sekunde. Mit blitzartig überraschenden Wendungen, brillant ausgehörter Streicherkultur und unglaublicher rhythmischer Präzision sausen sie durch die musikalischen Landschaften, heben zu spektakulären Loopings ab. Kraftvoll, leidenschaftlich und vor allem spielerisch!

Vogelperspektive

So klingt es, wenn sich vier streichende Schildkröten Vogelperspektive verordnen: gewissermaßen die Geburt der Himmelsfrau unter gegensätzlichen Vorzeichen. Keine Landung auf erdenschwer akademischem Grund – stattdessen Aufstieg in grenzenlos himmlische Weiten. Da darf auch Rockmusik ganz selbstverständlich zu quirligem Squaredance mutieren – so geht Streichquartett im 21. Jahrhundert!

Turtle Island Quartet - "Bird's Eye View"

Musik von Charlie Parker, Lee Konitz u.a. - arrangiert für Streichquartett

Turtle Island Quartet:
David Balakrishnan (Violine)
Alex Hargreaves (Violine)
Benjamin von Gutzeit (Viola)
Malcolm Parson (Violoncello)

Label: Azica Records

Sendung: "Leporello" am 30. Mai 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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