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CD - Adrian Chandler und La Serenissima "The four Seasons"

Der britische Barockgeiger Adrian Chandler und sein Originalklang-Ensemble "La Serenissima" haben in den vergangenen Jahrzehnten eine ganze Reihe preisgekrönter Alben vorgelegt: Antonio Vivaldi und seine italienischen Zeitgenossen stehen im Zentrum ihres Repertoires, wobei Chandler mit Vorliebe vergessene Partituren aus entlegenen Archiven zutage befördert und selbst ediert.

CD-Cover: Antonio Vivaldi - Die vier Jahreszeiten | Bildquelle: Avie

Bildquelle: Avie

CD-Tipp 21.09.2015

Der CD-Tipp zum Nachhören!

Fundierte Quellenforschung und historische Aufführungspraxis vermitteln sich bei La Serenissima jedoch nicht als löblich-langweiliger Beitrag zur Musikwissenschaft, sondern als mitreißendes Hörerlebnis, in dem sich Affekte und Effekte zu einer höchst überzeugenden Rhetorik verbinden. Ihr jüngstes, ganz den Werken des "prete rosso" gewidmetes Album, erschien beim Label Avie Records. Darauf sind die Hits wie die "Vier Jahreszeiten" und das Fagottkonzert "La Notte" zu hören, aber auch zwei ersteingespielte Konzerte für ein Instrument, das selbst Barock-Freaks noch überraschen dürfte.

Nachgebautes Instrument

Das Vivaldi-Konzert RV 221 wird man beispielsweise so noch nicht gehört haben, denn das Soloinstrument, für das es geschrieben wurde, war schlichtweg "ausgestorben". Es handelt sich um ein "Violino in tromba marina", das Vivaldi für seine Meisterschülerinnen am Ospedale della Pietà in Venedig eigens konstruieren ließ. Vorbild war das aus dem im Mittelalter bekannte Trumscheit, auch Nonnentrompete genannt, weil dieses unförmige einsaitige Streichinstrument häufig eine Trompete ersetzte, an deren Klangfarbe es entfernt erinnerte. Chandler ließ Vivaldis dreisaitige Version nachbauen und erweckte sie mit seinem Ensemble La Serenissima gleich in zwei Weltersteinspielungen wieder zum Leben.

Transparenz und Farbigkeit

Dagegen dürfte der gefühlte Neuheitswert eines Dauerbrenners wie "Le Quattro Stagioni" bei Null liegen. Wer Vivaldis notorisch bekannte Violinkonzerte mit ihren zwitschernden Vöglein, Sommergewittern und Winterstürmen neu einspielt, sollte eine Idee haben, oder wenigstens eine Punk-Frisur wie Nigel Kennedy. Adrian Chandler entschied sich für ersteres und erarbeitete aus dem einzig erhalten gebliebenen Manuskript eine eigene Ausgabe. Und die interpretierte er mit solcher Transparenz und Farbigkeit, extravaganter Virtuosität und Esprit, dass man unwillkürlich aufhorcht: In L’Autunno hat der Wein alle metronomischen Tempovorstellungen weggeschwemmt und die trunkenen Bauern torkeln so plastisch wie in einer Opernszene.  

Frische "Jahreszeiten"

Trotz hundertfacher Weichspülung als Kuschelklassik, Handyklingelton und Werbejingle können "Le Quattro Stagioni" noch so frisch klingen. Strawinsky hielt Vivaldi bekanntlich für einen langweiligen Komponisten, der dasselbe Konzert rund 400 mal geschrieben habe. Aber da haben die Interpreten doch wohl ein Wörtchen mitzureden und mit ihrem neuen Album liefern Adrian Chandler und "La Serenissima" ausgesprochen triftige Gegenargumente.

Antonio Vivaldi: Die vier Jahreszeiten

"Le Quattro Stagioni"
Concerto "La Notte" für Fagott, Streicher und Continuo RV 501
Concerto per Maestro de Morzin für Fagott, Streicher und Continuo RV 496
Concerto per violino in tromba marina, Streicher und Continuo RV 221
Concerto per violino in tromba marina, Streicher und Continuo RV 311
La Serenissima
Adrian Chandler (Violine und Leitung)
Peter Whelan (Fagott)
Label: Avie

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