Sein Spitzname im Knabenchor war "Mozart": Der junge russische Pianist und Dirigent Maxim Emelyanychev gilt in der Klassikszene derzeit als kommender Star – und als Spezialist für Mozart. Mit seinem Originalklangensemble hat er jetzt eine Gesamteinspielung aller 41 Symphonien von Mozart begonnen. Auf dem ersten Album zu hören sind der Anfang und das Ende der Geschichte: die erste und die letzte Symphonie.
Bildquelle: Aparté
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Wenn Wunderkinder erwachsen werden, kommt oft die Krise. Die instinktive Sicherheit ist plötzlich weg. Der Schlafwandler wacht auf und bemerkt, dass er in schwindelnder Höhe balanciert. Das Wunder verschwindet, der Mensch bleibt übrig und muss sich umschauen. Es gibt viele Beispiele von genialen Frühstartern, die in dieser heiklen Phase abstürzen – oder zumindest vorübergehend in eine Krise geraten.
Wolfgang Amadeus Mozart war in der Musik zweifellos das erstaunlichste Wunderkind der Geschichte. Mit nur acht Jahren schrieb er seine erste Symphonie. Dass sie wirklich von ihm stammt und nicht von seinem Vater Leopold, auch wenn der hier und da geholfen hat, beweist eine simple Tatsache: Diese Musik des Achtjährigen ist zehnmal besser als ausnahmslos jedes Stück, das der Vater je komponiert hat.
Schon das ist kaum zu glauben. Aber das zweite, noch größere Wunder sollte erst noch kommen. Mozart startete nicht nur unglaublich früh – er wurde auch als Erwachsener immer nur besser. Wer sich davon überzeugen will, muss das neue Album von Maxim Emelyanychev und seinem Ensemble "Il pomo d’oro" hören. Zum Auftakt einer geplanten Gesamteinspielung der 41 Symphonien, auf die man sich definitiv freuen kann, konfrontiert Emelyanchev Mozarts Erste mit seiner allerletzten, der sogenannten Jupiter-Symphonie.
Dieses Album wird lieben …
... wer Mozarts Lebendigkeit liebt.
Dieses Album hat gefehlt, weil …
... diese unendlich oft gespielte Musik selten so überzeugend klingt.
Dieses Album hört man besten …
... mit einem Glas Prosecco an einem langen Sommerabend.
Und bei allem berechtigten Staunen über den frühreifen Bub: Die letzte Symphonie ist noch viel erstaunlicher. Die Jupitersymphonie ist eine Komödie, die abgründig ernst macht. Mozart kombiniert rasanten Spaß und kompliziertesten Kontrapunkt, Intimität und Pracht. Und daraus entsteht die pure Euphorie, das perfekte musikalische Glückserlebnis. Allerdings nur, wenn diese Musik gut gespielt wird. Und das heißt: nicht entschärft, nicht weichgespült, nicht verharmlost. Und dabei trotzdem natürlich.
Der russische Pianist und Dirigent Maxim Emelyanychev war selbst eine Art Wunderkind. Im Knabenchor von Nischny-Nowgorod hatte er den Spitznamen "Mozart". Mit zwölf begann er, professionelle Orchester zu dirigieren. Im Ensemble von Enfant Terrible Teodor Currentzis war er Cembalist. Seit 2016 leitet er selbst ein Alte-Musik-Ensemble namens "Il pomo d’oro". Mittlerweise ist er 34. Im letzten Herbst gab er sein Debut bei den Berliner Philharmonikern. Ebenfalls eine Wunderkindkarriere ohne Irritation und Absturz.
Das mag daran liegen, dass Emelyanychev sich offenbar auf seinen natürlichen Instinkt verlassen kann. Anders als sein früheres Vorbild Teodor Currentzis, der mit seinem permanenten musikalischen Extremismus notorisch provozieren und polarisieren muss. Emelyanychev, der in Frankreich arbeitet, bleibt locker. Die Tempi sind rasch, aber nicht forciert. Die Akzente gestochen scharf, aber nicht penetrant. Die Melodien fragen und antworten sich, manchmal mit witzigen Tempofreiheiten, als wären es Figuren in einem Operndialog – aber das wirkt nie aufgesetzt oder unangenehm theatralisch.
Zu allem Überfluss ist Emelyanychev auch noch ein exzellenter Pianist. Als Bonus gibt es Mozarts A-Dur-Klavierkonzert KV 488. Bei den meisten Wunderkindern verschwindet irgendwann das Wunder und der Mensch bleibt übrig. Manche werden große Künstler. Emelyanychev ist einer.
Wolfgang Amadeus Mozart
Symphonien Nr. 1 und 41
Klavierkonzert Nr. 2
Il pomo d’oro
Leitung und Klavier: Maxim Emelyanychev
Label: Aparté
Sendung: "Piazza" am 27. Mai 2023 ab 8:05 Uhr auf BR-KLASSIK
Kommentare (1)
Sonntag, 28.Mai, 09:57 Uhr
Franz Josef Schuier
MOZART: THE BEGINNING AND THE END
Prima beschrieben. Mozarts Orchestermusik war mir persönlich lange verschlossen. Bis zu dieser Einspielung. Packend und süchtig machend. Gute Laune Musik.