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Album der Woche – Der Symphoniker Wilhelm Petersen Eigene Sprache von großer Schönheit

Irgendwie ist er ein Dirigent "alter Schule", obwohl noch keine 50: Constantin Trinks ging den klassischen Weg als Korrepetitor, Kapellmeister und Generalmusikdirektor in Karlsruhe, Saarbrücken und Darmstadt. Dabei hat er sich ein riesiges Repertoire angeeignet und gastiert mittlerweile an den Pulten der bedeutendsten Orchester weltweit – ganz ohne Image-Klimbim und Medien-Hype. Seine besondere Vorliebe gilt seltenem Repertoire aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – zum Beispiel Wilhelm Petersen und seiner Dritten Symphonie, die er nun dem Vergessen entrissen hat.

CD-Cover – Wilhelm Petersen: Symphonie Nr. 3 | Bildquelle: Profil | Edition Günter Hänssler

Bildquelle: Profil | Edition Günter Hänssler

Album der Woche – 15. April 2023

Wilhelm Petersen: Symphonie Nr.3

Eine dramatische Story zu seiner Wiederentdeckung gibt es nicht zu erzählen: Wilhelm Petersen wurde unter Hitler nicht verfemt, verhaftet oder in die Auswanderung gedrängt – er ist nur schlicht und einfach vergessen worden. Der 1890 geborene Pastorensohn studierte in München Komposition und Dirigieren, unterrichtete an den Musikhochschulen in Darmstadt und Mannheim und schrieb Symphonien, Konzerte, eine Messe und eine Oper, die ab und zu aufgeführt wurden. Immerhin von Dirigenten wie Hermann Abendroth und Karl Böhm.

Von den Nazis verboten, von der Avantgarde geringgeschätzt

Gedruckt wurde wenig, Petersens finanzielle Lage blieb stets so prekär wie seine gesundheitliche Verfassung. Er war kein Nazi wie seine beiden Brüder Waldemar und Hans Petersen; wegen seiner Nähe zur Anthroposophie gab es einige Gestapo-Verhöre und Aufführungsverbote. Die Geringschätzung der Nachkriegsavantgarde für alles Tonale sorgte vollends dafür, dass Petersen 1957 weitgehend unbeachtet starb. Das einzige, was für diesen unauffälligen Komponisten spricht, ist seine Musik – und die sollte man wirklich gehört haben.

Kurz und bündig

Dieses Album hat gefehlt, weil …
… es eine hervorragende Weltersteinspielung von Petersens Sinfonie vorlegt, die seit 1935 nicht mehr gespielt wurde.

Dieses Album wird lieben, wer …
… große Sinfonik auf den Spuren von Bruckner und Mahler schätzt.

Dieses Album lohnt sich, denn …
… es stellt eine hochpersönliche Stimme aus einer Zeit vor, deren Klang wir zu kennen glauben.

Ein eminenter Kontrapunktiker

Am packendsten in Petersens mächtigen symphonischen Gebilden sind vielleicht die plötzlich auftauchenden Inseln kammermuskalischer Transparenz – ein erstauntes, entrücktes Innehalten bis zum Aufblühen eines neuen Gedankens. Diese Stellen mögen an Mahler erinnern, andere an Wagner oder Strauss, vor allem aber an Bruckner, dessen Enkelschüler Wilhelm Petersen gewesen ist. Seine feingewebte thematische Entwicklung, die er "symphonische Metamorphose" nannte, gibt der Musik einen fließenden Charakter. Andererseits war Petersen ein eminenter Kontrapunktiker und offenbar kaum in der Lage, eine Melodie ohne kraftvolle Gegenstimme zu erfinden:      

Bruno Walter war ein Petersen-Fan

Trotz der eindeutig spätromantischen Verwurzelung spricht Petersens Musik eine ganz eigene Sprache von großer Schönheit – ungekünstelt und wahrhaftig im Ausdruck, überaus anspruchsvoll und doch ganz unmittelbar verständlich. Zumindest die 1932 entstandene Dritte Symphonie, die dank der Weltersteinspielung durch das hr-Sinfonieorchester jetzt endlich gehört werden kann und sollte: Denn unter der inspirierenden Leitung von Constantin Trinks stürzen sich die Musiker in phantastische Klangabenteuer und bauen gewaltige Spannungsbögen auf in dieser gut einstündigen Symphonie. Nachvollziehbar, dass Bruno Walter dem Komponisten "echte musikalische Erfindung, Meisterschaft in der Gestaltung und tiefsten Gefühlsreichtum" bescheinigte. Davon sollte unbedingt noch mehr hörbar gemacht werden!

Infos zur CD

Wilhelm Petersen:
Symphonie Nr. 3 cis-Moll op. 30

Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt | hr-Sinfonieorchester
Leitung: Constantin Trinks

Label: Naxos

Sendung: "Piazza" am 15. April 2023 ab 8.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

Kommentieren ist nicht mehr möglich.

Montag, 17.April, 22:08 Uhr

Robert

Danke für den Hinweis

Ich bin eigentlich immer auf der Suche nach spätromantischen Werken, welche mich den Rausch der Erstbegegnungen mit den großen Werken dieser Stilrichtung wiederholen lassen. Ah, noch einmal jung sein und sich zum ersten Mal von den Wundern einer Bruckner-Sinfonie überwältigen zu lassen...

Leider gab es auf meiner Suche viel mehr Flops als Treffer (hier nenne ich mal die Rott-Sinfonie als einen der seltenen Fälle in dieser Kategorie). In der Regel musste ich der Selektion des Betriebes zustimmen. Aber die doch recht überschwängliche Beschreibung von Frau Dielitz macht mich natürlich neugierig...

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