BR-KLASSIK

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Beethoven

Freiheit über alles

Des verklungenen Spiels Franz Grillparzers Grabrede auf Beethoven

Am 29. März wurde Beethoven von tausenden Menschen zur letzten Ruhe geleitet. Vor dem Friedhof sprach ein Schauspieler die von Franz Grillparzer verfasste Grabrede. Darin ist die Tragik von Beethovens Leben einfühlsam beschrieben. Aber es wird auch der ungute Mythos eines Nationalhelden geboren und Beethoven der Gefahr ausgesetzt, als übergroße, marmorne Figur zu erstarren.

Indem wir hier am Grabe dieses Verblichenen stehen, sind wir gleichsam die Repräsentanten einer ganzen Nation, des deutschen gesamten Volkes, trauernd über den Fall der einen hochgefeierten Hälfte dessen, was uns übrig blieb von dem dahingeschwundenen Glanz heimischer Kunst, vaterländischer Geistesblüte. (…) Der Erbe und Erweiterer von Händel's und Bach's, von Haydns und Mozarts unsterblichem Ruhme, hat ausgelebt, und wir stehen weinend an der zerrissenen Saite des verklungenen Spiels.
Des verklungenen Spiels! Laßt mich ihn so nennen! Denn ein Künstler war er, und was er war, war er nur durch die Kunst. Des Lebens Stacheln hatten tief ihn verwundet, und wie der Schiffbrüchige das Ufer umklammert, so floh er in deinen Arm, o du des Guten und Wahren gleich herrliche Schwester, des Leidens Trösterin, von oben stammende Kunst. (…)

Ein Künstler war er, aber auch ein Mensch, Mensch in jedem, im höchsten Sinn. Weil er von der Welt sich abschloß, nannten sie ihn feindselig, und weil er der Empfindung aus dem Wege ging, gefühllos. Ach, wer sich hart weiß, der flieht nicht, sondern steht und stößt ab! Gerade die zartesten Spitzen sind es, die am leichtesten sich abstumpfen oder biegen oder brechen. Das Übermaß der Empfindung weicht der Empfindung aus! Wenn er die Welt floh, so war's, weil er in den Tiefen seines liebenden Gemütes keinen Stützpunkt fand, sich ihr zu widersetzen; wenn er sich den Menschen entzog, so geschah's, weil sie nicht hinauf wollten zu ihm, und er nicht herab konnte zu ihnen. Er war einsam, weil er kein Zweites fand. Aber bis zum Tode bewahrte er ein menschliches Herz allen Menschen, ein väterliches den Seinen, Gut und Blut aller Welt.
So war er, so starb er, so wird er leben für alle Zeiten.
Ihr aber, die ihr unserm Begängnisse gefolgt bis hierher, gebietet eurer Trauer. Denn kein niederdrückendes, ein erhebendes Gefühl ist es, zu stehen am Sarge des Mannes, von dem man sagen darf, wie von keinem: er hat Großes geleistet, und kein Tadel war an ihm. Geht von hier trauernd, aber gefaßt. Nehmt mit euch – eine Blume von seinem Grabe – das Andenken an ihn und sein Wirken. Und wenn euch je im Leben, wie der kommende Sturm, die Gewalt seiner Schöpfungen übermannt, so ruft es zurück, das Andenken an heute, das Andenken an ihn, der so großes geleistet, und an dem kein Tadel war.

(Thayer, Alexander Wheelock: Ludwig van Beethovens Leben. Nach dem Original-Manuskript deutsch bearbeitet von Hermann Deiters, Bd. 5, Leipzig 1908)

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