BR-KLASSIK

Inhalt

Der Pianist Lucas Debargue "Was wir wissen müssen, steht in den Noten"

Die meisten Musiker und Komponisten haben ihre Berufung früh erkannt. Nicht so Lucas Debargue. Der junge Star-Pianist hat sich erst mit 20 Jahren auf das Klavier konzentriert. Davor war er E-Bassist, studierte Literatur und sorgte für einen Streit bei einem renommierten Wettbewerb. Am 6. Dezember gibt Debargue einen Soloabend in München – mit Scarlatti und Liszt.

Der Pianist Lucas Debargue | Bildquelle: Xiomara Bender | SonyClassical

Bildquelle: Xiomara Bender | SonyClassical

Das Porträt zum Anhören

Von großen Pianisten und Komponisten ist man gewohnt, dass sie in jüngsten Jahren mit dem Musizieren oder sogar dem Konzertieren beginnen: Mozart war vier Jahre alt, Chopin fünf, Philip Glass sechs Jahre. Ganz anders ist es bei Lucas Debargue. Der französische Pianist kommt aus keiner Musikerfamilie. Er hat zwar mit elf Jahren schon Klavier gespielt, aber nur nebenher. Mit fünfzehn hörte er dann ganz auf. Er fing an, E-Bass in einer Rockband zu spielen, und zwei Jahre später begann er zudem ein Literaturstudium.

Klavierwettbewerbe zu gewinnen heißt nicht, dass man wirklich irgendwas gewinnt.
Lucas Debargue

Ein langer Weg zum endgültigen Entschluss

Erst 2010, als Lucas Debargue 20 Jahre alt war, widmete er sich wieder dem Klavier - und das mit riesigem Erfolg. Den holprigen Weg hin zu dem Entschluss, das Klavier zum Beruf und zur Berufung zu machen, bereut Debargue keineswegs: "Das Leben hat seine eigene Kraft, die man nicht planen oder vorhersehen kann", sagt der Pianist. "Selbst dann, wenn man mit drei Jahren darauf programmiert wird, Klavierwettbewerbe zu gewinnen, heißt das nicht, dass man wirklich irgendwas gewinnt - vor allem nicht die Herzen der Leute. Ich kann mir sehr schwer ein Kind mit drei, vier oder fünf Jahren vorstellen, dass sich ganz sicher ist, Musik machen zu wollen."

Gewinnergala trotz Platz vier

Lucas Debargue | Bildquelle: © Felix Broede/Sony Classical Lucas Debargue | Bildquelle: © Felix Broede/Sony Classical Der Weg zum Konzertpianisten war lang, die Strecke von dort ins Rampenlicht dann aber sehr kurz. Es begann mit einem kleinen Eklat: beim Tschaikowsky-Wettbewerb im Jahr 2015. Als klarer Außenseiter spielte sich Lucas Debargue von Runde zu Runde in die Kritikerherzen dieses bedeutenden Klavierwettbewerbs. Letztendlich belegte er den vierten Platz. Viele Kritiker waren empört, sie hielten ihn für den besten. Andere hielten ihn für überschätzt, es kam zu einem Streit in der Jury. Valery Gergiev, der damalige Schirmherr des Tschaikowsky-Wettbewerbs, lud Debargue schließlich zum Preisträgerkonzert ein, obwohl er keinen Preis bekommen hatte – nicht ganz regelkonform und in der Geschichte des Wettbewerbs einmalig. Lucas Debargue erinnert sich an den Wettbewerb. Er bedauert, dass seine Kritiker ihre Zweifel nicht persönlich erklärten: "Schade eigentlich, denn das interessante an Zweifeln ist natürlich, sie zu äußern, sie zu erklären – was findest du gut und was nicht."

Es geht darum, sich von der Musik einnehmen zu lassen.
Lucas Debargue

Tradition – eine Illusion?

Der Eklat brachte Lucas Debargue wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit, als es eine Erstplatzierung je hätte bringen können. Er bekam einen Vertrag und war in aller Munde. Debargue spielt bunt durchmischt Stücke von Scarlatti bis Ravel, von Liszt über Chopin bis hin zu Rachmaninow. Die Informationen über das Stück entnimmt er einzig und allein der Partitur: "Alles, was wir zu einem Stück wissen müssen, steht in den Noten. Das ist auch alles, was wir haben. Wir können zwar Biografien und Briefe lesen, aber die sogenannte stilistische Tradition ist doch eine Illusion. Woher sollen die Leute wissen, wie es früher wirklich war. Es geht nicht darum, durch die Musik über sein eigenes Leben seine eigene Persönlichkeit zu erzählen, sich die Musik anzueignen. Nein, umgekehrt! Es geht darum, sich von der Musik einnehmen zu lassen."

Improvisation als höchste Kunst

Obwohl Lucas Debargue den Noten einen so großen Wert beimisst und sie zur einzige Quelle der Information erklärt, spielt Improvisation eine große Rolle für ihn. Er nennt sie die "höchste musikalische Kunst". Man kreiert die Illusion, dass man ein fertiges Stück spielt. Man erzeugt und präsentiert im gleichen Moment.

Lucas Debargue in München

Freitag, 6. Dezember 2019, 20:00 Uhr
München, Prinzregententheater

Werke von Domenico Scarlatti und Franz Liszt

Sendung: "Allegro" am 4. Dezember 2019 ab 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK

    AV-Player