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Kolumne - Theo Geissler Nur noch Freischütz und Meistersinger? - Gedanken zur AfD

Als Verleger und Herausgeber der "Neuen Musikzeitung" blickt er gern kritisch hinter die Kulissen der Musikwelt: Theo Geißler. Auf br-klassik.de schreibt er regelmäßig für das Ressort Meinung. In der aktuellen Ausgabe seiner Kolumne geht es um Kultur und Bildung im Grundsatzprogramm der AfD.

Theo Geißler | Bildquelle: privat

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Was "Alternative" war und was sie heute ist

Spannend zu beobachten, wie sich ein gesellschaftlicher Paradigmenwechsel im Sprachgebrauch niederschlägt: Wurde noch vor zwanzig Jahren das Adjektiv "geil" meist nur hinter prüde vorgehaltener Hand eindeutig situationsbezogen verwendet, dient es heute als gemeingültige Kurzform jedes beliebigen Superlativs. Die Parole "Wir sind das Volk" war seinerzeit ein trotziger wie berechtigter Aufschrei zahlloser DDR-Bürger, die sich nach der Ablösung ihrer verkalkten und kontrollsüchtigen Regierung sehnten - heute brüllen diesen Satz meist völlig unreflektiert dumpfe Wutbürger - ängstlich um ihr Hab und Gut, somit ihre "Identität" besorgt - wider Immigranten. Leicht können sich so rechte Terroristen in ihrem Tun von einer gesinnungsmäßig verwandten und zunehmend sichtbaren Öffentlichkeit bestärkt und bestätigt fühlen, wenn sie mit Feuerzeug und Benzinkanister gegen Asylbewerberheime marschieren. Dann der einst in Sachen gesellschaftlicher Verkrustung als Gegenpol höchst positiv besetzte Begriff "Alternative". Seinerzeit noch mental bewegliche "Grüne", auch viele engagierte Kulturschaffende sahen sich als eine solche - im Verhältnis zur Kohl'schen Mehltau-Regierung und Schröder'schem Neo-Liberalismus.

"Humboldtsche Bildungsideale" - wirklich?

Tempora mutantur - und als "Alternative für Deutschland" gilt jetzt eine rechtspopulistisch-nationalistische, fremdenfeindliche und rückwärtsgewandte Partei, für die bei der nächsten Bundestagswahl ein zweistelliges Prozentergebnis zu befürchten ist. Ihr kürzlich verabschiedetes Grundsatzprogramm enthält neben Hirnrissen wie dem Ausstieg aus der EU, der Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, einer schier inquisitorischen Haltung in Sachen Gender-Akzeptanz auch noch eine Pädagogik des Grauens. Bei aller Beteuerung - Zitat - "humboldtscher Bildungs-Ideale" sind wohl eher wehrmachtsfundierte Vorstellungen für Schule und Weiterbildung festgeschrieben: Im Vordergrund steht Leistungsdruck, Transport von effizienzgetriebener Technik- und Wirtschafts-"Kompetenz".  Im Grundlagenpapier der "Alternative" heißt das dann so:

"Die AfD begrüßt die zentrale Rolle der MINT‐Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) für die Wettbewerbs‐ und Innovationsfähigkeit unseres Landes. Es soll Aufnahmeprüfungen insbesondere für technische, naturwissenschaftliche und medizinische Studienfächer geben…Eine Politik, die eine nach unten nivellierende Einheitsschule anstrebt und dabei einen Qualitätsverlust in Kauf nimmt, bedroht die Zukunftsfähigkeit junger Menschen und die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft… Schulverweigerung, Null‐Bock‐Mentalität, Disziplinlosigkeit, Mobbing und Gewalt in der Schule sind nicht zu tolerieren und unter Einbeziehung der Erziehungsberechtigten angemessen zu ahnden…"

Freischütz oder Meistersinger - teutonisch-naturalistisch inszeniert

Also: "Humanistische" Bildung - getragen von strenger Disziplin in guter alt-teutscher Tradition - im Sinne rein ökonomischer Effizienz. Wiedereinführung der Prügel-Strafe? Soll man sich da freuen, wenn Parteichefin Frauke Petry lauthals für den Erhalt unserer Opernhäuser plädiert? Im Alptraum sieht man sie doch schon, erbsgrün bejackt zur Siegfried-Premiere Bayreuths grünen Hügel hochwallen. Bis in Anne Wills ARD-Schwafelrunde hat sie es mit ihren islamfeindlichen Phrasen schon geschafft. Überhaupt ist die deutsche Leitkultur für die AfD ein zentrales Bollwerk gegen die unmittelbar anstehende Überfremdung unserer Heimat. Im Parteiprogramm heißt es wörtlich:

"Die AfD will den Einfluss der Parteien auf das Kulturleben zurückdrängen, gemeinnützige private Kulturstiftungen und bürgerschaftliche Kulturinitiativen stärken und die Kulturpolitik generell an fachlichen Qualitätskriterien und ökonomischer Vernunft anstatt an politischen Opportunitäten ausrichten. Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst. … Wir halten ein gewisses Minimum an staatlichen Kultursubventionen  für unumgänglich, die jedoch an die selbst erwirtschafteten Einnahmen der Kulturbetriebe zu koppeln sind…Die Ideologie des Multikulturalismus, die importierte kulturelle Strömungen auf geschichtsblinde Weise der einheimischen Kultur gleichstellt und deren Werte damit zutiefst relativiert, betrachtet die AfD als ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation als kulturelle Einheit. Ihr gegenüber müssen der Staat und die Zivilgesellschaft die deutsche kulturelle Identität als Leitkultur selbstbewusst verteidigen."

Weg also mit der Weicheier-Erinnerungskultur an die Nazi-Zeit. Weg mit Burka, Minarett und Muezzin. Das Minimum an ohnedies dürftiger staatlicher Förderung der Künste sollte dann Institutionen zufallen, die den "Freischütz", die "Meistersinger" oder "Die lustige Witwe" teutonisch-naturalistisch inszenieren lassen. Die Operette verdrängt endlich wieder das dekadent-amerikanische Musical. Johnny hat ausgespielt. Sogenannte neue, atonale Musik gilt künftig dann als "artfremd" und darf vielleicht nur noch mit kostenpflichtiger Sondergenehmigung erlesenen Maso-Kreisen dargeboten werden.

All diese Spekulationen lässt das Grundsatzprogramm der AfD zu. Bedrohliche Realität ist, dass es dieser Partei zu gelingen scheint, sich als bedeutsamer Faktor eines rechts bis mittig definierten Demokratieverständnisses hierzuland einzunisten. Dabei hat sie sehr intelligente Paten: Marc Jongen, Philosophiedozent an der Karlsruher Hochschule für Gestaltung, den Berliner Professor an der Freien Universität Rüdiger Safranski, hoch gehandelter Autor und ebenfalls Philosoph. Nicht zu vergessen Peter Sloterdijk, gern verwendeter, scheint's allwissender Promi-Talk-Show-Gast auf vielen Kanälen.

Da werden sich vermeintlich edelkonservative Volksvertreter wie Horst Seehofer oder Wolfgang Bosbach kräftig anstrengen müssen, solche Spin-Doctors populistisch rechts zu überholen.

Der Autor

Theo Geißler ist ein deutscher Verleger, Zeitschriften-Herausgeber, Autor und Moderator des Live-Musikmagazin "taktlos" auf BR-KLASSIK. Nach einem Studium der Germanistik, Philosophie und Geschichte in Regensburg absolvierte er die Münchner Hochschule für Fernsehen und Film, war dann als Autor und Regisseur für Kinderprogramme des Bayerischen Fernsehens tätig.
Gemeinsam mit Olaf Zimmermann (Deutscher Kulturrat) gibt er die Buchreihe zur Zeitschrift "politik und kultur" heraus, sowie die "Beiträge zur Gregorianik". Geißler war von 2001 bis 2009 vom Auswärtigen Amt berufenes Mitglied des Deutsch-Französischen Kulturrates.

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