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Kolumne - Reinhard Goebel Alte Musik in Bayern: Verwirrte Mädchen und Kerzenlicht

Er ist Geiger, Dirigent und mit seinem Ensemble Musica Antiqua Köln ein Pionier der historischen Aufführungspraxis in Deutschland: Reinhard Goebel. Auf br-klassik.de schreibt er regelmäßig für das Ressort Meinung.

Reinhard Goebel | Bildquelle: Christina Bleier

Bildquelle: Christina Bleier

Dem Schlendrian den Kampf ansagen

Bayerns Beitrag zu einer "Geschichte der Alten Musik in Deutschland"  ist eher marginal - geht sogar gegen null, wenn wir die andernorts goldenen Gründerjahre 1960 bis 2000 betrachten.
"Alte Musik" heißt nicht: Ein paar verwirrte Mädchen aus vornehmlich very weit weg, am besten american west-coast, als Hildegard von Bingen verkleidet unvorhandene Musik gegen den Strich bürsten zu lassen. Oder kostümierte Laien vor historischer Kulisse und Kerzenlicht vorzuführen. Sondern das Repertoire mit unbekannten Kompositionen in meisterhafter Spielweise zu bereichern, und dem jeder Kunst, besonders aber dem approbierten Repertoire, gefährlichen Schlendrian der Gewöhnung den Kampf anzusagen. Immer wieder die Fragen zu stellen, was der Komponist gewollt hat, wo seine inneren Bilder sind - an welches zeitgenössische Wissen und Empfinden er appelliert.

Kostümierte Laien vor historischer Kulisse

Dass diese Fragen zu ihrer Beantwortung keineswegs mehr des in München besonders ungeliebten "Original-Instruments" bedürfen, sondern längst moderne Orchester bewegen und positiv verändern, zudem auch das Repertoire wieder in Richtung 1750 bereichert, das läßt sich in Amsterdam, Berlin, London, selbst direkt vor den Toren der Festung Bayern, in Frankfurt nämlich, beobachten!

Mit Taschenpartitur bewaffnete Studienräte

Reinhard Goebel | Bildquelle: Molina Visuals Bildquelle: Molina Visuals "In Bayern auftreten" hieß für mich früher: sehr warm anziehen! In der ersten Reihe mitwippende Fans, dahinter mit Taschenpartitur bewaffnete Studienräte, denen das zornige Buh schon aus den Augen quoll - und irgendwo noch´n "Kritiker", dessen ständiges Kopfschütteln dem Ganzen eine besonders pikante Note gab. Ohne die Beweggründe für die Verwendung eines unpedaliserten Nicht-Neupert-Cembalo, einer barocken Holztraverse und einer supertollen Stainer von 1665 zu kennen, redeten alle mit: Die Unberufenen, alle Ignoranten, alle Besitzstandswahrer, leider vor allem aber diejenigen, die für die Freiheit der Kunst einzustehen hätten. Verbal in Kraftbairisch, aber auch schriftlich: Hatemail kam und kommt auch heute noch vorwiegend aus Bayern.

Dabei beraubt man sich durch die quasi institutionalisierte Ablehnung all dessen, was man unter "Alte Musik" subsumieren könnte, auch eines riesigen, Identität stiftenden Repertoires. Es reicht von Orlando di Lasso (von dem man leider sehr lange schon nichts mehr gehört hat!) über den komponierenden Kurfürsten Max III. Joseph, über Johann Pachelbel in und aus Nürnberg, Biagio Marini in Neuburg hin zu dem Augsburger Leopold Mozart, dem grandiosen Georg Muffat in Passau und seinem eher stillen Zeitgenossen Ruprecht Ignaz Mayr in Freising. Und Pietro Torri sowie Giovanni Battista Ferrandini könnte man auch aus ihrem Feigenblatt-Status erlösen...

Der Autor

Reinhard Goebel gründete und leitete das Ensemble Musica Antiqua Köln, das Maßstäbe für die Wiederbelebung der Alten Musik setzte. Der Geiger und Dirigent ist heute Professor für historische Aufführungspraxis am Mozarteum in Salzburg.

Kommentare (1)

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Samstag, 28.November, 21:10 Uhr

plvkita

goebel - alte musik

Sehr verehrter Herr Goebel, ich wollte gleich schreiben, habe mich aber zurückgenommen und gedacht: sollen doch andere erst einmal. aber so langsam muss ich wohl!
Ich weiß nicht, warum sie inhaltlich mit Kanonen nach nicht mehr vorhandenen Spatzen schießen? Die historische Aufführungspraxis ist doch etabliert! Viel etablierter, als sie es vielleicht sein sollte! Stellen sie sich doch bitte nur vor, es gäbe auf dem Theater eine Richtung, die mit solchem Aplomb dafür argumentieren würde, Goethe so aufzuführen, wie er es in Weimar getan hat.
ABER! vor allem sprachlich-stilistisch sind Sie kaum erträglich! "Paar verwirrte Mädchen", "mitwippende Fans", "mit Taschenpartitur bewaffnete Studienräte" (ich bin keiner!), "noch'n Kritiker" (dürfen Sie denn nicht kritisiert werden?). Sprachlich sind Sie nicht zurück zum Ursprung, sondern ein Karajan, ja sogar ein aufgedonnerter Karajan. Ich bin sehr enttäuscht von Ihnen, dass Sie so schreiben. Vielleicht halten Sie sich besser an die Musik!

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