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Kommentar: Musik und Fasten Wagner ja, Bach nein

Kann man vom Schönen zu viel kriegen? Ist es gut, manchmal eine Pause einzulegen – gerade bei Dingen, die man ganz besonders gern hat? Letztlich ist das ja der Sinn des Fastens. Wer fastet, steigert die Vorfreude, macht sich den Wert von etwas Kostbarem wieder so richtig bewusst. Funktioniert das eigentlich auch mit Musik? Darüber macht sich Bernhard Neuhoff Gedanken.

Bildquelle: colourbox.com/Montage: BR

Die "Zugabe" zum Anhören

Einmal war ich in einem mehrwöchigen Urlaub auf Elba. Wir hatten keine Klassik-CDs dabei, mit Kleinkindern hat das auf langen Autofahrten wenig Sinn. Im Radio kam auch kein Klassiksender rein. Ich saß also, was meine Lieblingsmusik angeht, auf dem Trockenen. Nur einmal, als ich gerade geparkt hatte, wurde der italienische Popsender, den ich hörte, plötzlich von einer ganz anderen Musik unterbrochen. Es war – ausgerechnet – ein absolutes Lieblingsstück: der Anfang des Klarinettenquintetts von Johannes Brahms. Ganz kurz nur, vielleicht eine halbe Minute lang, war das hörbar: verrauscht, aber schöner als alle Worte beschreiben können. Ich vermute, es war das Programm France Musique, das von Korsika herübergeweht wurde und sich wie ein Störsender für diese wenigen Sekunden durchgesetzt hatte. Nie hat mich Musik stärker berührt als diese flüchtigen Takte – ich hätte heulen können, so intensiv war das. Unvergesslich schön. Und natürlich wirkte das nur deshalb so stark, weil ich vorher zwei Wochen lang auf Entzug war.

Verlorene Unschuld?

Als ich zum Radio ging, haben mich viele Freunde gefragt: Jetzt musst du beruflich so viel Musik hören, kannst du Dich eigentlich noch dran freuen? Verliert man da nicht irgendwie die Unschuld beim Hören? Und wird es dir nicht manchmal einfach zu viel? Bis heute höre ich solche Fragen. Ich kann darauf nur ehrlich antworten: Meine Freude an schlecht gespielter Musik hat zwar deutlich abgenommen, meine Freude an gut gespielter Musik aber war noch nie größer als jetzt.

Der Genuss steigt mit der Qualität

Die Wissenschaft bestätigt das: Musikpsychologische Studien haben ergeben, dass Berufsmusiker den berühmten Gänsehauteffekt nicht etwa seltener spüren als Leute, die wenig Musik hören, sondern tendenziell sogar öfter – zumindest dann, wenn sie die Musik passiv genießen und nicht gerade selbst am Instrument sitzen. Ich glaube, dass der Genuss von guter Musik mit der Quantität des Hörens eher noch steigt. Einfach, weil man immer mehr wahrnimmt, Nuancen spürt, auf Unterschiede aufmerksam wird. So wie Weinkenner – sie besuchen ja regelrechte Seminare, um noch mehr zu schmecken.

Logik des Fastens greift bei Wagner

Trotzdem: An manchen Stücken, die ich wunderschön finde, kann ich mich durchaus satthören. An Wagner etwa. Obwohl ich ihn wirklich sehr liebe, mich sogar als wagnersüchtig bezeichnen würde, dosiere ich seine Musik ganz bewusst sehr vorsichtig. Beim Wagner-Konsum leuchtet mir, wie beim Wein, die Logik des Fastens unmittelbar ein: Diese Droge, wenn man’s denn so nennen will, macht vor allem dann besonders high, wenn man vorher auf Entzug war. Auch, wenn es die fragwürdige Tradition gibt, an Karfreitag den Parsifal aufzuführen: Für mich sind bei Wagner "sieben Wochen ohne" kein Problem. Danach freu ich mich umso mehr.

Wasser – Frischluft – Bach

Bach dagegen ist mein Grundnahrungsmittel, unentbehrlich wie Wasser und frische Luft. Fasten in diesem Punkt wäre wohl kaum gesundheitsfördernd. Und das gilt sicher nicht nur in der Passionszeit.

Sendung: "Allegro" am 19. Februar 2021 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

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