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ARD-Musikwettbewerb 2016 - Auftakt Harfe Auch Engel brauchen starke Nerven

Zarte Glissandi und himmlische Klänge. Ganz klar: Die Harfe ist das Instrument der Engel. Und außerdem ein typisches Fraueninstrument. Oder etwa nicht? Zumindest ist sie nicht alltäglich: Erst zum vierten Mal in der Geschichte des ARD-Musikwettbewerbs ist die Harfe an der Reihe. Und hier entspricht längst nicht alles dem Klischee.

Harfe erster Durchgang ARD-Musikwettbewerb 2016 | Bildquelle: © Daniel Delang

Bildquelle: © Daniel Delang

Zugegeben: Manchmal kommt es mir schon ein bisschen vor wie Weihnachten, mich beschleicht so eine heimelige, friedliche Grundstimmung. Aber was kann denn die Harfe dafür, dass ihr Sound in der Adventszeit aus allen Lautsprechern kommt und dementsprechend, ganz nach Pawlow, diese Assoziationen bei mir weckt …

Auch ein anderes Klischee fällt mir am ersten Wettbewerbstag im Fach Harfe vor die Füße: Es handelt sich immer noch um ein Fraueninstrument. Unter den sieben Vorspielenden befindet sich gerade mal ein Mann. Ein Blick ins Programmheft verrät: An den anderen beiden Vorrundentagen wird sich auch nur noch ein weiterer hinzu gesellen. Frauenquote im Fach Harfe: über 90 Prozent.

Nur das Vorurteil, ich hätte es mit Engeln zu tun, kann ich erleichtert fallen lassen. Ganz normale, hoch konzentrierte junge Künstlerinnen und Künstler treten in schicker, ausnahmslos schwarzer Abendgarderobe auf die Bühne im Konzertsaal der Münchner Musikhochschule.

Ein Instrument zum Umarmen

Auf einem Hocker nehmen sie Platz, legen die Hände in den Schoß, schließen die Augen. Dann greift die rechte Hand zur Harfe, kippt das mächtige Instrument an die Schulter. Interessant, wie bei den einen Klangkorpus und Musikerkörper zu einem Organismus verschmelzen, und bei anderen wiederum die Harfe ein technisches Instrument bleibt. Beherrschen tun sie es alle, keine Frage! Die Finger kullern und sausen über die Saiten, rupfen und schlagen sie, um immer neue Klänge hervorzuholen. Besonders häufig zu hören sind die typischen Arpeggien, also gebrochen gespielte Akkorde, und Glissandi, also schnell gehuschte Tonleitern, mal auf, mal ab, mal beides. Währenddessen arbeiten auch die Füße: Sieben Pedale werden ständig eingestellt auf eine der je drei Stufen. Jedes Pedal bedient einen Ton in jeweils allen Oktaven, kann diesen um einen Halbton hoch- oder herunterstimmen. Meine Hochachtung gilt den Damen in den hohen Schuhen!

Prunkvoll und schlicht – Alles ist dabei

Eines ist sicher: Sieben verschiedene Geigen könnte ich nicht - oder nur schwer - auseinander halten. Die sieben Harfen vom ersten Wettbewerbstag unterscheiden sich in nahezu allen Details. Von fast schwarzem über rötlich-braunem bis hin zu hellem Holz sind viele Farbnuancen vertreten. Die Säulen sind mal reich mit Gold verziert, mal kunstvoll gedrechselt, mal stilvoll schlicht. Und auch die Ornamente auf den Resonanzdecken ranken sich in den unterschiedlichsten Farben und Formen. Ob ein Zusammenhang zwischen einer eher prunkvollen oder einer eher schlichten Optik und dem Charakter der Harfenistin/des Harfenisten besteht, konnte ich allerdings nicht herausfinden. Nur, dass vier der sieben KandidatInnen auf eigenen Instrumenten gespielt haben, während die anderen sich eines vom Wettbewerb geliehen haben. Klar: Transport ist ein großes Thema in diesem Fach.

Nervenstark: Viktor Hartobanu ist eine Saite gerissen

Harfe erster Durchgang ARD-Musikwettbewerb 2016 | Bildquelle: © Daniel Delang Viktor Hartobanu | Bildquelle: © Daniel Delang Im dritten Stück des zweiten Kandidaten passierte es: Viktor Hartobanu aus Berlin hat gerade eine Minute von Louis Spohrs Fantasie op. 35 gespielt, da macht es leise "pitsch": Eine F-Saite ist gerissen. Der 26-Jährige geht rasch hinter die Bühne und holt Ersatz. Man muss schon gut organisiert sein, um schnell die richtige der 47 möglichen zu finden! Das ist er. Dennoch: Im Saal beginnt ein Murmeln und Raunen. Viktor fürchtet, dass seine Konzentration leiden könnte. Er beschließt, die Aufmerksamkeit des Publikums zu halten, indem er - während er die neue Saite aufzieht! - eine Anekdote erzählt. Von Hector Berlioz, der einmal dem Ehepaar Spohr gegenüber klagte, was für ein instabiles Instrument doch die Harfe sei, ständig reißen Saiten oder brechen Pedale. Hut ab! In so einer Situation wie Viktor Hartobanu die Nerven nicht zu verlieren, sogar das Publikum bei Laune zu halten: Das zeugt von großer mentaler Stärke. Und so bringt er seinen Auftritt nach dem Zwischenfall auch souverän zu Ende.

Fazit: Ein bisschen plätschert es schon

Die Harfe ist als Solo-Instrument auf den Konzertbühnen nicht allzu häufig zu finden. Und auch beim ARD-Wettbewerb ist dieses Fach in 65 Jahrgängen erst das vierte Mal dabei. Etliche Zuhörer und Zuhörerinnen berichten mir, dass sie treue Besucher des Wettbewerbs sind, aber mit Harfe gar nicht so viel anfangen können - manche fügen hinzu: "bis jetzt". Ich frage mich: Hat die Harfe so ein Nischendasein verdient?

Manchmal fühle ich mich von Harfentönen berieselt, das Wort "plätschern" kommt mir in den Sinn. Über einen ganzen Tag hinweg wird es halt schon etwas monoton. Aber das betrifft wohl fast jede Kategorie und liegt wohl auch an den immer wiederkehrenden Werken.

Aber: Dieses Instrument wartet definitiv auch mit Überraschungen auf. Die Klangvielfalt einer einzigen Saite ist enorm, eben je nach Anspielweise. Und auch dynamisch haben Harfen ein großes Spektrum vom leise glitzernden Pianissimo bis hin zum sonor gerupften Forte. Auf jeden Fall macht es große Freude, den Musikerinnen und Musikern beim Spielen zuzusehen. Der Anblick der flinken, immer wieder anders eingesetzten Finger fasziniert mich. Das Vor- und Zurückwiegen von Körper und Instrument gleicht einem innigen Tanz. Davon werde ich nicht satt, davon möchte ich mehr.

Fach Harfe beim 65. ARD-Musikwettbewerb

1. Durchgang: 29. bis 31. August 2016
2. Durchgang: 1. und 2. September 2016
Semifinale: 4. September 2016, 16 Uhr
Finale: 7. September, ab 18 Uhr

Alle Runden sind öffentlich, die ersten beiden Durchgänge bei freiem Eintritt.
Im Fach Harfe finden die Runden im Großen Konzertsaal der Hochschule für Musik und Theater München statt. Nur das Finale mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks findet im Herkulessaal der Münchner Residenz statt.

Den genauen Zeitplan der Wettbewerbsrunden finden Sie hier.

BR-KLASSIK informiert mehrfach täglich über den Verlauf des Wettbewerbs - mit aktuellen Informationen und mehreren Sondersendungen. Ab dem Semifinale werden alle Schlussrunden als Video-Livestream übertragen. Auch die drei Preisträgerkonzerte sendet BR-KLASSIK live - im Radio und als Videostream.

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