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ARD-Musikwettbewerb 2016 - Rückblick Streichquartett Krönung in der Königsdisziplin

Eine nervenaufreibende Zeit liegt hinter den Preisträgern im Fach Streichquartett. Aber jetzt dürfen sie sich über ihre Auszeichnungen freuen. Klanglich war alles dabei: von sehr individuellen, freien Interpretationen bis hin zum typisch klassischen Quartettsound. BR-KLASSIK-Autorin Susanna Felix blickt zurück auf vier Wettbewerbsrunden in der Königsdisziplin der Kammermusik.

ARD-Musikwettbewerb 2016 Streichquartett Finalisten | Bildquelle: © Daniel Delang

Bildquelle: © Daniel Delang

Finale Streichquartett

Das komplette Konzert als Video

"Das Leben eines Streichquartetts ist menschlich sicher sehr anspruchsvoll", weiß Juror Christoph Poppen aus eigener Erfahrung. Als ehemaliger Primarius des Cherubini-Quartetts kennt er die großen Herausforderungen, denen ein Quartett im Alltag ausgesetzt ist. Man hört und liest viel von Quartetten, die sich ständig streiten. Und man sollte vielleicht meinen, dass schwelende Konflikte gerade in einer angespannten Wettbewerbssituation schnell mal eskalieren können.

Doch hier schien mir genau das Gegenteil der Fall zu sein. Alle hatten ein klares Ziel vor Augen. Und das schweißte die Quartette offensichtlich stark zusammen - gerade auf der Bühne. "Wenn einer von uns gestresst ist, dann schaut er seinen Nebenmann an, der lächelt - und sofort fühlt er sich wieder gut", erklärt Cellist Samy Rachid aus dem Quatuor Arod. Zugleich gibt er zu, dass Streit über musikalische Ansichten zum normalen Probenalltag durchaus dazugehört: "Musik bedeutet Leidenschaft. Und auch wir selbst sind leidenschaftlich."

Künstlerisches Potenzial

Neun Streichquartette traten in der ersten Runde gegeneinander an. Das Niveau war auch beim diesjährigen Wettbewerb wieder sehr hoch. Und ich fand es sehr spannend zu hören, wie unterschiedlich die jeweiligen Ensembles an das Repertoire herangingen. Bei einigen merkte man deutlich, dass sie schon lange zusammenspielen und zu einem recht einheitlichen Klang gefunden haben. Andere sind noch nicht so weit. Trotzdem: keine leichte Entscheidung für die Jury. Denn es gilt nicht nur, die momentane Leistung eines Ensembles zu bewerten, sondern auch zu spüren, ob es das nötige künstlerische Potenzial für die Zukunft mitbringt.

Impressionen von Proben und Finale

Individuelle Interpretation

Das Quatuor Arod fiel mir von Anfang an auf. Die Franzosen schufen in ihren Interpretationen eine ganz eigene Klangwelt. Dabei gingen sie allerdings zum Teil recht frei mit dem Notentext um. Dynamische Vorgaben steigerten sie ins Extreme, wählten zum Teil ungewöhnliche Tempi und kosteten jede Phrase aus. Das Ergebnis: kein Takt Langeweile. Aus jedem Takt zauberten die jungen Musiker etwas, auch wenn ihr Spiel oft etwas Maniriertes hatte.

Ich selbst bin hin- und hergerissen. Einerseits faszinieren mich dieses Spiel, die Klangfarben, die Nuancen, das Individuelle. Auf der anderen Seite hätte ich mir manchmal doch etwas mehr Stilsicherheit gewünscht: einen Haydn, der wirklich wienerisch klingt, einen Mozart, der meinen Ohren als Mozart vertraut ist. Gelungene Interpretation ist immer eine Gratwanderung zwischen Werktreue und persönlichem Ausdruck. Aber vielleicht ist es gerade das Individuelle, das ein junges Quartett mitbringen muss.

ARD-Musikwettbewerb Streichquartett Finale | Bildquelle: © Daniel Delang Bildquelle: © Daniel Delang Jedenfalls bekommen die Franzosen am Ende den Ersten Preis. Juror Christoph Poppen ist begeistert von der Persönlichkeit des Quatuor Arod. Die jungen Musiker hätten den Mut, auf eine bestimmte Weise auszudrücken, was sie ganz persönlich empfinden. "Ich bin sicher, gerade das Quatuor Arod wird eine ganz große Karriere machen", so Poppen.

Von den Interpreten beschenkt

In der Auswahl der drei Finalisten stimme ich mit der Jury überein. Das Amabile Quartett aus Japan ist noch sehr jung. Die Musiker bringen schon sehr gute Qualitäten mit, brauchen aber noch etwas Zeit, um sich zu entwickeln. Besonders beeindruckt haben sie mit ihrer Interpretation des Auftragswerkes "etchings" von Nikolaus Brass. Das Stück lebt von starken Kontrasten und schnell wechselnden klanglichen Effekten.

Nikolaus Brass selbst sagte mir, wie glücklich er sei, im Semifinale vier verschiedene Interpretationen seines Werkes hören zu können: "Ich werde als Komponist auch immer wieder beschenkt von den Interpreten, weil die mir mein Stück auf ihre Art wieder zurückgeben." Die Japaner überzeugen die Jury damit am meisten und bekommen am Ende - neben dem Dritten Preis - den für die beste Interpretation des Auftragswerkes.  

Großer Andrang beim Streichquartett

Das Aris Quartett aus Deutschland agierte sehr homogen im Zusammenspiel. Die Musiker kommunizierten auf der Bühne erfolgreich miteinander und agierten äußerst stilsicher. Vielleicht fehlte ihnen noch etwas die persönliche Note im Spiel, aber das Publikum hatten sie trotzdem auf ihrer Seite. Mit eindeutiger Mehrheit stimmten die Zuhörer für dieses Quartett. "Ich fand sie am emotionalsten", sagt eine junge Konzertbesucherin. "Meiner Meinung nach waren sie das am stärksten zusammengeschweißte Ensemble", begründet eine andere ihre Entscheidung.

Die Musiker selbst sind nach dem Finale erstmal erschöpft: "Es ist schon eine starke Anpannung gewesen über die vier Runden", sagt die Geigerin Noémi Zipperling. "Da ist man die ganze Zeit auf einem sehr konzentrierten Level. Und jetzt ist es sehr erleichternd, dass man mal kurz loslassen kann." Dass die Deutschen am Ende nur den Zweiten Preis bekommen, sorgt bei vielen für Enttäuschung und so mischen sich bei der Preisverleihung auch einige Buh-Rufe in den Applaus. Überhaupt war das Interesse und der Andrang des Publikums im Fach Streichquartett den ganzen Wettbewerb über sehr groß. "Es ist einfach eine Musik, die einen ganz stark innerlich berührt", schwärmte eine Besucherin. Eine Meinung, die ich nur teilen kann.

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