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Reportage ARD-Musikwettbewerb 2017 - Geige Spannender Wettkampf ohne ersten Preis

35 Geigerinnen und Geiger aus aller Welt traten zum diesjährigen ARD-Musikwettbewerb an, drei von ihnen schafften es ins Finale. BR-KLASSIK-Autor Ulrich Möller-Arnsberg erlebte in den vier Runden große Violinkunst, Bravi und auch Buh-Rufe.

Die drei Preisträger im Fach Violine (v.l.n.r.): Andrea Obiso, Kristine Balanas, Sarah Christian, im Herkulessaal. | Bildquelle: BR/Daniel Delang

Bildquelle: BR/Daniel Delang

Preisvergabe

Eindrücke vom Finalabend

Es kommt anders als man denkt. Das habe ich als Reporter beim ARD-Musikwettbewerb wieder einmal erfahren. Natürlich, wenn ich von 35 Teilnehmern in der ersten Runde einen Geiger oder eine Geigerin besonders toll finde, denke ich nicht, dass er oder sie auch sicher ins Finale kommt. Aber ab der zweiten Runde hatte ich schon meine Favoriten, die ich für aussichtsreich hielt. Schließlich spiele ich selbst Geige und weiß - zumindest halbwegs - was herausragend ist. Letztendlich kamen manche meiner Favoriten weiter, andere nicht.

Sarah Christian - Finalistin im Fach Violine 2017 | Bildquelle: BR/Daniel Delang Sarah Christian | Bildquelle: BR/Daniel Delang Begonnen hatte der Wettbewerb im Fach Geige im großen Saal der Münchner Musikhochschule - sehr entspannt, zumindest für die Zuhörer. Kein Gedränge, viel Platz für Solomusik von Johann Sebastian Bach und Niccolò Paganini. Zwar wiederholte sich das Repertoire, doch beim Wahlstück breitete sich dann die angebotene Vielfalt aus. Die Kandidaten machten von der ganzen Palette Gebrauch. Der technisch so brillante Italiener Andrea Obiso spielte Berios teuflisch schwere "Sequenza VIII", Sarah Christian legte viel Gestaltungskraft in Witold Lutoslawskis "Partita" für Solovioline und Lorenz Chen, dessen jugendlichen Esprit ich so genoss, spielte die Sonate Nr. 1 von Joaquin Turina, die wunderbare spanische Farben hat.

Kompetente Musikfans zum Fachsimpeln

Mit der Entscheidung der Jury für die 15 Teilnehmer der zweiten Runde war ich völlig einverstanden. Und nun wurde es auch richtig spannend. Der Große Konzertsaal der Musikhochschule füllte sich regelmäßig zu den Vorspielen. Zwischendurch gab es unten im Foyer jede Menge Geiger und kompetente Musikfans zum Fachsimpeln - großartig, ganz nach meinem Geschmack.

Isabelle von Keulen war die erste Jurorin, mit der ich über den Wettbewerb sprach. Über die Hälfte der Teilnehmer kam aus Asien. In der zweiten Runde stand es dann "fifty-fifty" zwischen den instrumentalen Perfektionisten aus Fernost und den Geigern aus Europa und den USA. Isabelle von Keulen sagte: "Es war mal so, dass Asiaten besser durchgekommen sind, weil sie technisch so beeindruckt haben, aber die sind jetzt musikalisch nachgerückt. Und andererseits haben sich die Europäer technisch näher zusammengerafft. Alles ist auf höherem Niveau gleicher geworden."

Heftige Buhs für die Jury

Richtig aufregend wurde es am Ende der zweiten Runde, als die Geigerin Anna Lee nach 45 Spielminuten vom dritten Satz der von ihr gespielten Brahms-Sonate mit hinreißendem Drang attacca in den vierten sprang. Der Jury-Assistent Frank Selzle brach das Spiel auf der Bühne dann allerdings abrupt ab, denn der Timer des Juryvorsitzenden Mauricio Fuks war abgelaufen. Für ihn musste, komme was wolle, ein Ende gemacht werden. Das bekam die Jury allerdings prompt zu spüren: Ein gewaltiger Aufschrei drang aus den Reihen der Zuhörer. Die Buhs sollten sich später beruhigen, aber der Unmut über den Vorfall hielt sich bei einigen bis zum Finale.

Unkonventionelles Drauflos-Geigen

Anders als beim letzten ARD-Musikwettbewerb im Fach Geige vor vier Jahren kamen diesmal nur Europäer ins Semifinale. Ich fragte mich: Wo ist Jiyoon Lee? Die Südkoreanerin lebt in Berlin und tritt demnächst ihre Konzertmeisterstelle beim Staatsorchester an. In der zweiten Runde beeindruckte mich besonders ihre Interpretation der ersten Prokofjew-Sonate. Dafür befanden sich unter den Semifinalisten zwei phantastische deutsche Geiger, die in München leben: Sarah Christian und Lorenz Chen. Die gebürtige Augsburgerin, an der ich das unkonventionelle Drauflos-Geigen so liebe, schaffte es sogar ins Finale - an der Seite von zwei anderen, die technisch wahrlich mit allen Wassern gewaschen sind: Andrea Obiso, der sportliche Geiger aus Palermo, hatte in den Vorrunden das "Blaue vom Himmel" gespielt. Und Kristine Balanas aus Lettland war auch sehr flink und intonationsrein mit ihren Fingern auf dem Griffbrett unterwegs.

Kein erster Preis

Die drei Preisträger im Fach Violine (v.l.n.r.): Andrea Obiso, Kristine Balanas, Sarah Christian, im Herkulessaal. | Bildquelle: BR/Daniel Delang Die Preisträger: Andrea Obiso (2. Preis), Kristine Balanas (3. Preis), Sarah Christian (2. Preis) | Bildquelle: BR/Daniel Delang Dass es nach dem Finale unter der Jury eine lebhafte lange Diskussion gegeben hatte, kann ich gut nachvollziehen - auch wenn ich nicht dabei war. Juror Benjamin Schmid sagte mir: "Ein erster Preis war nicht mehrheitsfähig". Bei Sarah Christian und Andrea Obiso, die beide jeweils einen Zweiten Preis bekamen, handelt es sich um sehr unterschiedliche Künstlerpersönlichkeiten. Und beide haben das Zeug, herausragende Solisten zu sein. "Ich weiß g'rad nicht, wie es mir geht", war die erste Reaktion von Sarah Christian nach dem Finale. Eine Woche vorher hatte ich sie nach der ersten Runde im Café getroffen und mit ihr über Tagesform und Glück geredet. Und dann kam es so. Wahnsinn!

Alle Achtung den Geigern

Ich ziehe meinen Hut vor den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die ein Repertoire von neun großen, schweren Stücken für den Wettbewerb vorzubereiten hatten - egal, wie weit jede beziehungsweise jeder Einzelne kam. Einige Eindrücke klingen in mir bestimmt noch lange nach.

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