Das wurde Zeit: Fast 65 Jahre lang war "Die tote Stadt" von Erich Wolfgang Korngold nicht mehr an der Bayerischen Staatsoper zu sehen. Zur Saisoneröffnung hatte das Stück am 18. November an der Bayerischen Staatsoper in Starbesetzung Premiere, mit Jonas Kaufmann und Marlis Petersen in den Hauptrollen, dirigiert von Kiril Petrenko. Die Inszenierung ist eine Übernahme aus Basel: Dort hatte Regisseur Simon Stone die Oper bereits vor drei Jahren auf die Bühne gebracht.
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Nein, das ist kein Spaziergang für Jonas Kaufmann. Diese Rolle ist ziemlich heftig, und dass sie Kraft kostet, merkt man ihm an. Darf man auch, soll man ruhig. Der Tenorstar, der sonst fast immer etwas Sunnyboy-haftes ausstrahlt, muss diesmal einen Schmerzensmann verkörpern. Paul, die Hauptfigur von Korngolds "Toter Stadt", hat viel durchgemacht seit dem Tod seiner Frau. An Krebs ist sie gestorben in Simon Stones' Inszenierung. Aber in Pauls Fantasiewelt lebt sie weiter, von der Chemotherapie gezeichnet, ohne Haare – und mit vielen Doppelgängerinnen, die seine Alpträume bevölkern.
Bildquelle: W. Hösl Pausenlos denkt er an sie, ja, er betreibt eine Art Totenkult. Nichts in Pauls 60er-Jahre-Bungalow darf verändert werden. Die altmodische Einrichtung ist wie eine Zeitkapsel, alles sieht aus wie damals, als sie noch lebte. In einer Kammer hat er einen Altar für sie aufgebaut – mit hunderten Fotos, mit den Kleidern der Toten und ihrer Perücke. In diese morbide Welt fährt wie ein kühler Luftstoß Marietta, mit umwerfendem Elan verkörpert von Marlis Petersen. Sie erinnert Paul an seine tote Frau, ist aber höchst lebendig, wie sich zeigt, jung, gutaussehend, heißblütig, eine Tänzerin, der die Männer zu Füßen liegen – allzu empfindlich gegenüber Klischees sollte man bei dieser Opernhandlung lieber nicht sein.
Aber Korngolds Musik klingt so verführerisch an diesem Abend, dass man auch den von ihm selbst geschriebenen Text willig runterschluckt. Zumal Simon Stone spielfreudig und recht konsequent die Geschichte einer scheiternden Beziehung erzählt. Die penibel aufgeräumten Räume des Bungalows brechen auseinander, Pauls Welt gerät durch Marietta aus den Fugen, die Drehbühne wirbelt die Figuren durch deformierte Räume.
Das ist meist intelligent gemacht und wird nur gelegentlich etwas hampelig, etwa wenn Marietta mit ihren Kollegen vom Theater eine doch etwas bemüht dionysische Künstler-Party feiert. Viel stärker ist Stone, wenn er auf die Paarbeziehung fokussiert, wenn Jonas Kaufmann und Marlis Petersen schauspielerisch aus sich herausgehen, streiten und flirten, einander verfallen und sich verfehlen. Dann gewinnt auch die etwas krude Handlung Aktualität – wie wir mit Trauer umgehen und den Tod eines geliebten Menschen verarbeiten, das sind ja Fragen, die jedem unter die Haut gehen.
Bildquelle: W. Hösl Weit mehr noch als das Bühnengeschehen tut das die Musik. Kirill Petrenko macht aus diesem Abend ein flammendes Plädoyer für Korngold. Es ist, als ob er jeden Kitschverdacht ein für alle mal widerlegen möchte. Und er hat ja so recht: Wenn diese Musik so genau und zugleich so poetisch dirigiert und so inspiriert gespielt wird wie vom Bayerischen Staatsorchester, dann ist das Stück nicht nur unwiderstehlich emotional, sondern auch psychologisch aufregend.
Dabei trägt Petrenko die Sänger auf Händen. Was Jonas Kaufmann gut gebrauchen kann. Er gibt emotional enorm viel und teilt doch seine Kräfte klug ein. Dass ihn diese Partie fordert, darf man ruhig spüren. Dieser großartige Sängerdarsteller zieht selbst aus der hörbaren stimmlichen Herausforderung Energie, man leidet und freut sich mit ihm. Überstrahlt wird er von seiner Bühnenpartnerin, der phänomenalen Marlis Petersen. Ihre Stimme erzählt und verführt, souverän und leidenschaftlich – unbedingt hörenswert.
Musikalische Leitung: Kirill Petrenko
Inszenierung: Simon Stone
Premiere: Montag, 18. November
Informationen zu Terminen und Besetzung erhalten Sie auf der Homepage der Staatsoper.
Sendung: "Allegro" am 19. November 2019 um 06:05 Uhr auf BR-KLASSIK