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Kritik – das Musical "Berlin Berlin" in München Viel Koks, wenig Handlung

Willkommen in den 20er Jahren! Ja, gut, wir schreiben das Jahr 2020, und schon nach den ersten Tagen lassen sich diese 20er nicht besonders golden an. In jedem Einrichtungskatalog kann man jedoch sehen: Die 1920er sind wieder in. Da war es eigentlich nur eine Frage der Zeit bis es auch ein Musical zum Thema gibt. Nun ist es da: "Berlin Berlin" heißt es, eine Revue, jegliche Namensähnlichkeiten zur TV-Serie "Babylon Berlin" sind sicher rein zufällig. Die Münchner Premiere lief am 8. Januar im Deutschen Theater. Begeistern konnte sie nicht.

"Berlin, Berlin" am Deutschen Theater München. Szenenfoto | Bildquelle: Christian Kleiner

Bildquelle: Christian Kleiner

Das Ganze spielt im Berliner Admiralspalast, der zugehörige Admiral führt als grinsender Conférencier mit viel "Mh!", "Ah!" und "Oh!" durch die Revue; geschrieben und inszeniert wurde sie von Christoph Biermeier. Das Stück ist zum Bersten gefüllt mit den besten Hits der 20er und 30er. Dazwischen wird so etwas wie eine Handlung simuliert, meistens aber viel gekokst und Absinth gesoffen, denn Drogen sind immer für einen Gag gut. Der Humor sorgt damit für schlimmere Kopfschmerzen als jeder Wermutschnaps, noch verstärkt durch "Berliner" Icke-ditte-wa-Dialoge, die anscheinend nur die Regieanweisungen pathetisch oder lüstern kennen.

Die Band scheppert aus Lautsprechern

Schick sieht das alles aus, natürlich gibt es eine Showtreppe und viele Lichter. Die Männer tragen Hemden, die Frauen möglichst wenig. Das gilt insbesondere für die Tänzerinnen und Tänzer, die in der tollen Choreographie von Matt Cole eine starke Leistung zeigen. So richtig mitreißend wird das trotzdem selten, denn die Band scheppert aus den Lautsprechern, was sicher auch an den breiten Arrangements von Rich Morris liegt, die manchen Song unnötig aufblasen.

Die Baker als Höhepunkt

"Berlin, Berlin" am Deutschen Theater München. Szenenfoto: Dominique Jackson als Josephine Baker | Bildquelle: Christian Kleiner Dominique Jackson als Josephine Baker | Bildquelle: Christian Kleiner Die Promis der Zeit werden alle einmal über die Bühne geschleift, Marlene Dietrich genauso wie die Comedian Harmonists und eine alberne Kurt-Weill-Parodie. Leider ist das die meiste Zeit über recht langweilig, denn die Songs folgen keiner wirklichen Dramaturgie. Oder sie fallen sogar ganz aus dem Zusammenhang, wenn etwa plötzlich zu Benatzkys "Weißem Rössl" in Dirndl und Lederhosen geschunkelt wird. Dominique Jackson als Josephine Baker bringt als einzige Solistin wirklichen 20er-Jahre-Flair, weil sie sängerisch und tänzerisch vor Energie sprüht.

Eine gehörige Portion Betroffenheitskitsch

In Bakers Auftritt brechen dann die Nazis ein – ein ernster Moment, der auch darauf anspielt, dass die Tänzerin 1929 im Deutschen Theater Auftrittsverbot erhielt. Dann allerdings gibt's eine gehörige Portion Betroffenheitskitsch, als der Chor hinter einer monströsen Hakenkreuzfahne das Lied "Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück" leidlich sauber anstimmt.

Parallelen zu "Cabaret"

Das klingt sehr nach "Cabaret", dem Nachtclub-Musical, das während des Aufstiegs der Nazis in Berlin spielt. Und die Parallelen sind wirklich auffällig – nur, dass das Musical von 1966 schon damals nahezu alles besser machte als "Berlin Berlin" heute. Und ausgerechnet der Titelsong "Cabaret" ist ein Höhepunkt der neuen Show, toll gesungen von Sophia Euskirchen.

Rosarote Wohlfühl-Brille

Natürlich endet das Wohlfühl-Stück nicht unterm Hakenkreuz, die Berliner besinnen sich nämlich auf ihren Optimismus und feiern sich dafür selbst ein bisschen – zum Titelsong aus "Babylon Berlin". Ein Stück für alle, die eine rosarote "Dit is Berlin"-Brille tragen.

Sendung: "Allegro" am 9. Januar 2020 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK

"Berlin Berlin" in München

Informationen zu Terminen, Besetzung und Vorverkauf erhalten Sie auf der Homepage des Deutschen Theaters.

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