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Bryce Dessner - Gitarrist von "The National" Ich bin ein anständiger Komponist, aber ...

Im Konzert des Münchener Kammerorchester am 26. April im Prinzregententheater war zum ersten Mal in Deutschland Bryce Dessners "Wires" zu erleben. Der Gitarrist der Rockband "The National" war für das Konzert in München. BR-KLASSIK hat den vielseitigen Musiker getroffen – der sich mit der Gitarre in der Hand immer noch am wohlsten fühlt.

Komponist und Gitarrist Bryce Dessner | Bildquelle: © Charlotte de Mezamat

Bildquelle: © Charlotte de Mezamat

BR-KLASSIK: Sie sind einerseits Gitarrist in der Rockband "The National", die Sie 1999 mit Ihrem Zwillingsbruder Aaron gegründet haben, und andererseits Komponist Neuer Musik. Wie bekommen Sie das unter einen Hut?

Bryce Dessner: Ich komme von der klassischen Musik. Ich habe Flöte studiert und wechselte dann zur Gitarre und schließlich zur Komposition. Ich habe mich damit bis in meine frühen zwanziger Jahre beschäftigt, bis es nach meinem Hochschulabschluss mit "The National" los ging. Ironischerweise habe ich mich in der Anfangszeit der Band selbst über Wasser gehalten, indem ich zeitgenössische Musik gespielt und unterrichtet habe. Erst viel später wurde "The National" tatsächlich zur erfolgreichen Band. Die Band ist wie eine Familie, auch weil mein Bruder dabei ist. Ich denke, dass die meisten Komponisten ein Interesse oder eine Verbindung zum Songwriting haben. Und besonders in Amerika ist selten ein Komponist zu finden, der keine Erfahrung mit Rockmusik hat.

Bach, Bebop, Post-Punk

BR-KLASSIK: Sind Sie in Ihrer Familie mit klassischer Musik oder eher mit Popmusik groß geworden?

Bryce Dessner: Ich wurde sehr von meinem Vater und meiner Schwester beeinflusst. Mein Vater war Jazz-Schlagzeuger und Pauker. Wir hatten viele großartige Bebop-Alben und klassische Musik auf Vinyl. Er hat uns hauptsächlich in Jazzkonzerte mitgenommen. Ich lernte die Musik von Miles Davis kennen, oder auch die der Gitarristen Pat Metheny, Jim Hall oder John Scofield. Ich fragte mich, wie sie so gut spielen konnten, und wusste, dass ich das ernsthaft studieren musste, um diese Art von Sprache zu lernen.

Dazu kommt, dass ich im Süden von Ohio aufgewachsen bin. Meine Schwester war ein Punk, in Ohio gab es Bands wie die "Afghan Whigs", die "Breeders" oder die "Pixies", die mich beeinflusst haben. Als ich 15 Jahre alt war, kam Nirvanas Album "Nervermind" heraus. Was für die Generation meiner Eltern die Beatles waren, war für der Post Punk, wie etwa "Sonic Youth".

BR-KLASSIK: Und welche Rolle spielte die klassische Musik? Gab es Momente in Ihrer Kindheit oder Teenagerzeit, die für Sie in Bezug auf die historische klassische europäische Musik wichtig waren?

Bryce Dessner: Als Teenager bis in meine späten Zwanziger spielte ich nur Bach. Ich gab Recitals mit Bachs Suiten für Laute, ich liebte diese Musik. Diese Musik war auch immer Teil meines Lebens. Schumanns "Dichterliebe" oder Schuberts "Winterreise" gehören zu den größten Kompositionen, die je geschrieben wurden. Das einzige, das sich mit diesen Stücken messen kann, sind vielleicht Songs aus dem Beatles-Katalog. Ich hatte immer eine sehr umfassende Sicht auf Musik.

Bryce Dessner mit The National  | Bildquelle: picture alliance / Photoshot Bryce Dessner, Gitarrist der US-Indierockband "The National" | Bildquelle: picture alliance / Photoshot Ich liebe die besondere Chemie beim Musizieren. In einem Kammermusikensemble ist die Chemie zwischen den Individuen entscheidend, wie man auch anhand großartiger Ensembles wie dem Emerson String Quartet oder dem Kronos Quartet sehen kann. Es geht um Individuen, die gut zusammen musizieren können. Und jeder der Musiker ist gleich wichtig. So ist es auch bei Popgruppen wie den Beatles, den Pixies oder Radiohead, und man kann das etwa auch bei den großen Platten von Miles Davis erkennen. Musik ist eine gemeinschaftliche Kunstform, viel mehr als dies bei anderen Künsten der Fall ist - wenn man etwa an Dichter oder Maler denkt, die sehr isoliert gearbeitet haben. Auch bei Komponisten im 20. Jahrhundert gab es diese Idee des einsamen Genies, der im stillen Kämmerlein seine Werke schreibt. In der Renaissance oder in der Zeit von Schubert war das ganz anders - auch bei J.S. Bach: er leitete den Kirchenchor, war Organist, improvisierte und war Teil der Gemeinschaft.

Als Teenager bis zu meinen späten zwanziger Jahren spielte ich nur Bach.
Bryce Dessner, Rockstar und Komponist

BR-KLASSIK: An welcher Komposition arbeiten Sie zur Zeit?

Bryce Dessner: Vor kurzem habe ich einen Song-Zyklus für Stimme und kleines Orchester für die Sopranistin Kelly O'Connor geschrieben, demnächst wird er auch mit dem Los Angeles Chamber Orchestra aufgeführt. Die Instrumentierung ist ähnlich wie beim Stück "Wires", das das Münchner Kammerorchester gerade im Prinzregententheater gespielt hat.

Bryce Dessner - Zu Gast beim MKO

BR-KLASSIK: Ihre Musik war Teil eines Konzerts mit Werken von Maurice Ravel, Felix Mendelssohn und Tristan Murail. Wie haben Sie sich in der Umgebung gefühlt?

Bryce Dessner: "Tombeau de Couperin" von Ravel etwa ist ein sehr schönes Stück, das Ravel nach dem 1. Weltkrieg geschrieben hat. Seine Art der Orchestrierung ist großartig. Ich liebe diesen französischen Sound. Auch Tristan Murail mit seiner Spektralmusik finde ich sehr spannend. Es ist zwar nicht die Musik, die ich zu Hause auflege, aber ich finde die Partituren sind wie Architekturzeichnungen, so detailliert und so schön. Es sind tolle Kunstwerke! Und natürlich ist auch Mendelssohns Werk beeindruckend, er hat das Stück ja mit 15 Jahren geschrieben. (Aufgeführt wurde Mendelssohns Symphonie Nr. 1 c-Moll op. 11, Anm. der Red.)

Die Musik, die ich anderswo höre und mache, und dieses 'Labyrinth' von Einflüssen an Farben und Texturen, kommt auch bei 'The National' zum Vorschein.
Bryce Dessner

BR-KLASSIK: Am Samstag (28. April) werden Sie wieder als Gitarrist mit "The National" spielen, in Ohio. Ist es selbstverständlich für Sie, innerhalb von 24 Stunden von der einen Musikwelt in die andere zu switchen?

Bryce Dessner: Für mich ist das ziemlich natürlich. Manchmal kann es aber schon hart sein: Meine Bandkollegen werden mich vermutlich nicht fragen, wie es gelaufen ist in Europa, und auch nicht unbedingt mit mir mitfühlen, wenn ich Jetlag habe. Jeder in der Band hat aber auch anderweitige Projekte. Die Musik, die ich anderswo höre und mache, und diese Art "Labyrinth" von Einflüssen kommt, wie ich glaube, auch bei "The National" zum Vorschein. Ich bin derjenige in der Band, der stört, unterbricht, etwas umstößt. Das ist meine Rolle, und sie ist sehr befreiend.

Ich bin ein anständiger Komponist, aber das, was ich am besten kann, ist Gitarre spielen. Auf der Bühne kann ich mich mit der E-Gitarre wirklich frei ausdrücken. Ich habe eine Sammlung von etwa 15 E-Gitarren auf Tour dabei, und sie alle sind wie alte Freunde. Ein Geiger hat seine Stradivari, und ich habe eine Gibson Firebird von 1965. Es macht immer Spaß, sie in die Finger zu bekommen.

Ein Brief von Barack Obama

BR-KLASSIK: Sie haben mit "The National" auch für Barack Obama gespielt? Werden Sie in Zukunft wieder für Ihn spielen?

Bryce Dessner: Barack Obama hat uns einen Brief geschickt, als wir dieses Jahr einen Grammy gewonnen haben. Das hat mich sehr berührt. Ich kann einfach nicht glauben, dass dieser Mann unser Präsident war und er sich die Zeit genommen hat, uns einen Brief zu schicken. Wir sind eine von vielen Bands, die für ihn gespielt haben. Wir sind letzten November wieder bei ihm aufgetreten, das war das vierte Mal. Wann immer er anruft, werden wir da sein. Leider erlebt unser Land momentan eine große Tragödie. Ich lebe aber nicht mehr in Amerika, sondern in Paris. Amerika ist ein komplizierter Ort geworden.

Sendung: "Leporello" am 27. April 2018, 16.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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