BR-KLASSIK

Inhalt

Christian Thielemann zum Wiener Neujahrskonzert Tanzen Sie Walzer, Herr Thielemann?

Pünktlich um 11:15 Uhr hebt Christian Thielemann am 1. Januar 2019 zum ersten Mal den Taktstock beim legendären Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker. Millionen von Fernsehzuschauern und Radiohörern weltweit erwarten die Premiere mit Spannung. Auch BR-KLASSIK überträgt live im Radio. Wie fühlt sich der Debütant selbst in Anbetracht der großen Aufmerksamkeit?

Christian Thielemann | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

BR-KLASSIK: Herr Thielemann, es sind traditionell sehr viele Zuschauer weltweit beim Neujahrskonzert dabei. Allein über 50 Millionen Fernsehzuschauer und noch mehr Radiohörer. Ist das eine andere Spannung für Sie als Dirigent?

Christian Thielemann: Eigentlich ist jedes Konzert ein spannungsvoller Auftritt. In Bayreuth wird auch übertragen – sonst wohin: im Radio, im Kino. Ob es dann noch zehn mehr Zuschauer sind oder hundert oder tausend oder eine Million – ich sehe sie ja nicht. Ich muss immer mein Bestes geben, auch wenn nur zehn Leute im Zuschauerraum sitzen würden:  Die haben bezahlt, und da gibt man sein Bestes.

Man denkt, die greifen einem in die Hosentasche.
Christian Thielemann über die spezielle Nähe des Publikums zum Orchester im Großen Musikvereinssaal in Wien

BR-KLASSIK: Die Zuschauer kommen Ihnen in Wien allerdings noch ein bisschen näher, es gibt ja sogar Zuschauer auf dem Podium.

Christian Thielemann: Stimmt. In Wien ist es insofern immer lustig, weil man denkt, die greifen einem in die Hosentasche. Sie gucken und sehen alles ganz genau, ob man schwitzt und ob das Hemd verknickt ist. Aber es ist auch ein gewisses Hauskonzert-Gefühl. Das kann unangenehm sein, kann sich aber auch gut anfühlen. Man denkt fast, man sitzt im Wohnzimmer.

Der Spannungsbogen zählt

BR-KLASSIK: Es ist ein Programm mit Zierer, Strauß, Hellmesberger. Wo ist der rote Faden, was ist für sie das Motto des Neujahrskonzerts?

Christian Thielemann: Qualität. Dass keines dieser Stücke abfällt. Dass sich eine Hügellandschaft ergibt, die auch mal ein kleines Tal einer gewissen Entspannung kennt, des Leisen. Dann gibt es wieder das, was aufrauscht – insgesamt eine Dramaturgie, einen Spannungsbogen.

Silvester ist die Zeit für Walzer.
Christian Thielemann

BR-KLASSIK: Sie sind nicht unbedingt für dieses Repertoire bekannt.

Christian Thielemann: Das habe ich schon ein paar Mal gehört: Aber in Dresden haben wir jedes Jahr eine Operette. Und ich habe in meinen jüngeren Kapellmeisterjahren mit der Operette angefangen, bin dann allerdings doch sehr schnell in die Wagner- oder Strauss-Schiene gekommen. Aber ich habe natürlich den Kontakt zu dieser Musik nie aufgegeben. Und ich freue mich, dass ich nun zu gewissen Anlässen meine Kenntnis da nochmal herausholen kann.

Denken Sie dran, wenn Sie sagen: Man ist dafür nicht bekannt, wo werden denn unterm Jahr Konzerte mit Walzern gemacht? Zu Fasching noch. Oder ein Walzer wird vielleicht als Zugabe gespielt. Aber eigentlich ist Silvester die Zeit für Walzer!

BR-KLASSIK: Es gibt auch sechs Erstaufführungen im Programm. Wer hat sie ausgewählt?

Christian Thielemann: Wir haben gemeinsam ausgewählt. Durch unsere lange Verbindung oder die Tatsache, dass die Kollegen mich gut kennen und wissen, was mir wahrscheinlich gefällt, haben sie mir angeboten, was mir wahrscheinlich gefällt. Es war gar kein großartiges Hin-und-Her. Wir haben uns, glaube ich, zwei Mal getroffen, noch ein bisschen kommuniziert, ob es zu lang ist. Aber wir glauben, dass es jetzt ganz gut ist.  

Ich bin tanzmäßig nicht so begabt.
Christian Thielemann

BR-KLASSIK: Wiener Blut hat Johann Strauß stilecht noch mit der Geige in der Hand dirigiert. Tanzen Sie Walzer, Herr Thielemann?

Christian Thielemann: Nein, ich bin tanzmäßig nicht so begabt. Aber das muss man glaub ich auch nicht. Ich muss ja auch kein Autokonstrukteur sein, um mein Auto fahren zu können. Ich muss auch nicht so gut Geige spielen können, wie das manche können. Ich habe ja Geige und Bratsche gespielt. Ein bisschen was sollte man schon davon verstehen. Wie eine Tuba funktioniert, muss man als Dirigent wissen - aber wie sie ganz genau funktioniert, das weiß der Spieler besser.

Sendung: "Piazza" am 29. Dezember 2018 um 08:05 Uhr auf BR-KLASSIK.

    AV-Player