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Interview mit Clemens Trautmann Die Zukunft der Plattenindustrie

Nicht hinterherlaufen, sondern selbst gestalten: Die Plattenindustrie ist nicht nur dem Druck des Markts ausgeliefert, sondern auch ständig mit technischen Neuerungen konfrontiert. Ein Interview mit Clemens Trautmann, Präsident der Deutschen Grammophon.

Qualitätskontrolle im Akustikraum der Schallplattenfabrik  | Bildquelle: picture-alliance/dpa

Bildquelle: picture-alliance/dpa

BR-KLASSIK: Als Sie vor einem Jahr Präsident der Deutschen Grammophon geworden sind, haben Sie unter anderem gesagt: "Es braucht Mut, neue geschäftliche Wege zu gehen." Man könnte sagen, dass das eine Binsenweisheit ist, denn diesen Mut braucht es eigentlich immer. Welche Wege sind Sie denn inzwischen gegangen und können Sie schon absehen, ob sie sinnvoll waren?

Clemens Trautmann: Wenn man ein wenig zurückblickt in der 118-jährigen Historie, dann ist es doch so, dass die Deutsche Grammophon und die gesamte Branche immer technischen Veränderungen und Herausforderungen ausgesetzt war. Glücklicherweise gibt es bei uns auch eine Tradition der Innovation. Das geht zurück bis auf die erste doppelseitige Schallplattenaufnahme mit Arthur Nikisch und den Berliner Philharmonikern mit Beethovens 5. Sinfonie. Nun stehen wir vor der nächsten großen Herausforderung: Der digitalen Transformation. Und wir sehen uns eigentlich sehr gut gerüstet, gerade mit dieser starken Marke "Deutsche Grammophon", weil es einfach darauf ankommt, den Hörern mit knappen Zeitbudgets in dieser komplexen digitalen Welt eine Orientierung zu geben.

BR-KLASSIK: Was sind denn im Moment ganz konkret die Herausforderungen, was sind die Bedrohungen? Und wo sind Sie zuversichtlich, wo fühlen Sie sich gut gewappnet und wo wird innovativ gedacht?

Das Vinyl kommt wieder. Der Trend, doch etwas Haptisches, Greifbares zu haben, ist auf jeden Fall sehr präsent.
Clemens Trautmann, Deutsche Grammophon

Clemens Trautmann: Nun ist es ja so, dass wir bei den physischen Verkäufen - also CDs und auch bei der DVD im audiovisuellen Bereich - einen Rückgang verzeichnen. Erstaunlicherweise kommt aber das Vinyl wieder. Der Trend, doch etwas Haptisches, Greifbares zu haben, ist auf jeden Fall sehr präsent. Andererseits stellen wir im digitalen Bereich Verschiebungen fest: Das Downloadgeschäft, das in den letzten Jahren sehr gut lief, geht mit deutlichen Raten zurück, weil die Hörer jetzt zunehmend Streamingdienste nutzen. Auf beiden Feldern, physisch und digital, gibt es Verschiebungen, denen wir nicht hinterherlaufen wollen, sondern die wir selbst gestalten möchten.

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BR-KLASSIK: Lassen Sie uns auf das Verhältnis von den großen Major-Labels zu kleineren Labels zu sprechen kommen - das sicher im Pop-Bereich ein ganz anderes ist, als in der Klassik. Ganz subjektiv empfunden: Wenn ich in München in renommierte Plattenläden gehe, dann sehe ich Anna Netrebkos "Verismo"-CD von der Deutschen Grammophon oder Jonas Kaufmann bei Sony unglaublich prominent und auch in Bezug auf die Menge sehr gut präsentiert und vermarktet. Da ist auch nichts dagegen zu sagen, denn es sind tolle Künstler mit guten Produkten. Aber für die kleinen Labels, die Independent-Labels, für Künstler, die auch super sind, aber nicht bei den großen Plattenfirmen unter Vertrag stehen, ist es zwangsläufig schwieriger. Wie viel davon hält eine gesunde Branche aus?

Clemens Trautmann: Ich glaube, dass wir in Deutschland eine sehr gesunde Mischung haben. Wenn man sich einmal die Marktanteile anschaut, haben die Major-Labels Universal, Deutsche Grammophon, Sony und Warner zusammen einen Marktanteil von 50 Prozent - und die andere Hälfte machen Indie-Labels aus. Das ist sehr gut, weil natürlich auch dort an spannenden Künstlern und kleineren Projekten gearbeitet werden kann, die sich auch ihren Weg in den Markt bahnen.

Clemens Trautmann, Präsident der Deutschen Grammophon | Bildquelle: obs Dr. Clemens Trautmann, Präsident der Deutschen Grammophon | Bildquelle: obs Ich würde das gar nicht so negativ sehen, wie Sie das ausgedrückt haben. Im Handel ist es doch glücklicherweise immer wieder so, dass es Plattenhändler gibt, die gerade Künstler von Indie-Labels, an die sie glauben und die sie entdeckt haben, besonders stark herausstellen. Und die treten auch mit ihrer Empfehlungs-Funktion an den Kunden heran. Und in den digitalen Kanälen ist es ja so, dass viele dieser Künstler eine Fanbase haben und diese ohne Weiteres einen sehr guten Zugriff auf die Aufnahmen hat. Insgesamt gibt es natürlich den Vorteil eines größeren Apparats - das hört sich jetzt so negativ an - einer größeren Markting-Einheit, dass die Künstler, für die wir arbeiten, am Markt auch präsenter sind.

BR-KLASSIK: Sie haben gesagt, dass Sie bei den neuen Technologien und Verbreitungswegen vorne dran sein und mitgestalten möchten. Haben die technischen Verbreitungswege und die medialen Veränderungen eine Auswirkung darauf, mit welchen Künstlern man zusammenarbeitet oder ist das davon völlig unbenommen?

Es ist heute wichtig, eine künstlerische innere Notwendigkeit darzustellen, warum diese Aufnahme so und nicht anders gemacht werden musste.
Clemens Trautmann, Deutsche Grammophon

Clemens Trautmann: Absolut! Die technischen Verbreitungswege haben eine Auswirkung. Sicherlich nicht auf den Qualitätsanspruch - der bleibt bei der Deutschen Grammophon identisch mit früheren Jahren. Aber durch die digitalen Plattformen und Streamingdienste werden Aufnahmen jetzt noch viel stärker vergleichbar und stehen direkt nebeneinander, anders als das früher der Fall war. Sie wissen ja: Das Bessere ist der Feind des Guten.

Wenn man beispielsweise auf Spotify oder Apple Music nach Beethovens Pathétique-Sonate, Sturm-Sonate oder Mondschein-Sonate sucht, da stehen dann einfach mal 200 Suchergebnisse nebeneinander. Und dann muss sich der Nutzer entscheiden, welches Produkt, welche Aufnhame er hören möchte. Da ist es natürlich wichtig, dass man eine Qualitätsbotschaft sendet! Die kann über die Marke gesendet werden wie die Deutsche Grammophon - und natürlich über den Künstler selbst: seine Persönlichkeit, seine Geschichte und seine Motivation. Also es ist heute nicht nur wichtig, eine qualitativ hochwertige Aufnahme zu veröffentlichen, sondern eine authentische Geschichte zu erzählen, sozusagen eine künstlerische innere Notwendigkeit darzustellen, warum diese Aufnahme so und nicht anders gemacht werden musste.

Das Interview für BR-KLASSIK führte Annika Täuschel.

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