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Infektionsgefahr beim Musizieren Zwei neue Studien lassen Bläser aufatmen

Wie hoch ist die Infektionsgefahr für Covid-19 bei verschiedenen Musikergruppen? Wieviel Abstand ist wirklich notwendig? Mit diesen Fragen beschäftigen sich zwei aktuelle Studien der Universität der Bundeswehr München und der Berliner Charité. Während die Charité einen Leitfaden für alle Orchesterinstrumente entwickelt, untersucht die Universität der Bundeswehr das Infektionsrisiko speziell beim Chorsingen und Musizieren mit Blasinstrumenten.

Sergey Finoedov probt während des ARD Musikwettbewerbs in einem Proberaum des Gasteigs in München. | Bildquelle: BR/Fabian Stoffers

Bildquelle: BR/Fabian Stoffers

Wie stark verteilen Sänger und Bläser im Falle einer Infektion die Viren in ihrer Umgebung? Prof. Christian Kähler und sein Assistent Dr. Rainer Hain von der Universität der Bundeswehr in München wollten das mit einem praktischen Experiment ermitteln – mithilfe einer Gesangsdozentin des Salzburger Mozarteums sowie Bläsern des Staatstheaters am Gärtnerplatz in München. Bei ihren Messungen beobachteten die Wissenschaftler zweierlei: einmal die Ausbreitung von größeren Tröpfchen und auch die Bewegung der kleinen Tröpfchen, sogenannter Aerosole. Beide könnten potenzielle Virenüberträger sein.

Die wichtigsten Empfehlungen der Wissenschaftler

Bläser

  • mindestens 1,5 Meter (Bundeswehr-Uni) bzw. zwei Meter (Charité) Abstand zur nächsten Person
  • wenn möglich dünnes Tuch etwa 20 Zentimeter vor Schalltrichter
  • Empfehlung für Plexiglas-Schutz bei Blechbläsern
  • Kondenswasser mit einem Tuch auffangen, Instrumente gründlich reinigen

andere Instrumentalisten und Sänger

  • mindestens 1,5 Meter Abstand
  • Dirigenten auch 1,5 Meter Abstand, bei Probe besser zwei Meter

Grundsätzliches

  • für gute Belüftung sorgen
  • regelmäßig Händewaschen
  • wo möglich Mund-Nase-Schutz tragen

Die Studie der Berliner Charité wiederum entstand im Auftrag der sieben Berliner Berufsorchester. Ihr Ziel: ein Leitfaden für eine sichere Orchesterarbeit in Corona-Zeiten. Die Forscher untersuchten hierzu eine ganze Reihe von Kriterien: die Bewegung der Musiker, ihre Atemfrequenz, die Sitzordnung. Bei den Bläsern schauten die Epidemologen dann ganz genau hin: Welche Luftströme entwickeln sich beim Spielen? Wo bildet sich wieviel Kondenswasser?

Infektionsgefahr durch Luftstrom gering

Beide Studien sind sich einig: Sowohl bei Blech- als auch bei Holzbläsern ist die Infektionsgefahr nicht so hoch wie oft angenommen. Denn der Luftstrom, den Bläser freisetzen, ist generell geringer als beim Sprechen. Bei Blechbläsern ist der in Schwingungen versetzte Luftbereich nicht einmal einen halben Meter lang, so die Messungen der Bundeswehr-Studie. Bei Holzbläsern sieht das zwar anders aus – Klarinettisten, Oboisten und Fagottisten könnten immerhin Strömungsbewegungen über einen Meter Länge erzeugen. Aber außerhalb dieses Bereichs sei eine Virenübertragung "äußerst unwahrscheinlich", so die Bundeswehr-Wissenschaftler. Am kritischsten stufen beide Studien die Querflöte ein: Hier kann der Luftstrom- und Druck abhängig vom Spiel höher sein als beim Sprechen.

Nicht der Luftstrom birgt also laut der Studien bei Bläsern das größte Risiko für eine Covid-19-Infektion. Dafür schätzen die Charité-Wissenschaftler ein anderes Detail als deutlich problematischer ein: Kondenswasser, das sich in den Instrumenten bildet. Bislang ist es üblich, dass Bläser angesammeltes Kondenswasser regelmäßig über die Wasserklappen auf den Boden entleeren. Bei erkrankten Spielern könnte diese Praxis aber dazu führen, dass sich Viren auf dem Boden und im Raum verteilen. Die Bundeswehr-Studie macht dazu keine Aussagen.

Gewebte Tücher oder Plexiglas

Frauen spielen Querflöte, Gottesdienst, Bergbaustadt Lota, Chile, Südamerika | Bildquelle: picture alliance/imageBROKER Querflötisten produzieren von allen Holzblasinstrumenten den weitesten Luftstrom. | Bildquelle: picture alliance/imageBROKER Beide Studien bewerten das Infektionsrisiko bei Bläsern also ähnlich. Die Maßnahmen, die die Wissenschaftler empfehlen, unterscheiden sich leicht: Die Bundeswehr-Forscher schlagen Bläsern vor, mindestens 1,5 Meter Abstand zu halten und sich möglichst versetzt aufzustellen. Außerdem plädieren sie dafür, ein dünnes, dicht gewebtes Tuch etwa 20 Zentimeter vor dem Schalltrichter der Instrumente zu platzieren. Das ist nach Angaben der Wissenschaftler weit genug, um den Klang nicht zu beeinträchtigen, könnte aber Tröpfchen auffangen und zusätzlich schützen. Die Charité-Wissenschaftler halten bei Bläsern zwei Meter Abstand für nötig. Darüber hinaus empfehlen sie einen Plexiglas-Schutz für Blechbläser. Da das Kondenswasser infektiös sein könnte, müsse man es am besten mit einem Tuch auffangen und die Instrumente nach dem Spiel gründlich mit Tüchern reinigen.

Anderthalb Meter Abstand reichen normalerweise aus

Beim Singen gibt es laut Bundeswehr-Studie keine weitreichende Virenübertragung. Luftschwingungen konnten die Forscher im Bereich von 50 Zentimetern vor dem Mund beobachten. Trotzdem halten sie 1,5 Meter Abstand für sinnvoll, falls ein Sänger zwischendurch husten muss. Chorsänger und Chorsängerinnen sollten am besten versetzt stehen. 1,5 Meter – für diesen Abstand plädiert auch die Charité-Studie bei Streichern, Tasteninstrumenten, Harfe und Schlagwerk. Bei Dirigenten differenzieren die Epidemologen zwischen Probe und Konzert: Im Konzert würden 1,5 Meter ausreichen, da der Dirigent nicht redet. Während der Probe seien zwei Meter sicherer, denn Tröpfchen können bei lautem Sprechen weit fliegen.

Richtig lüften

Beide Studien weisen daraufhin, wie wichtig eine gute Belüftung der Proben- und Aufführungsorte ist. Die Ratschläge der Universität der Bundeswehr: oft lüften, in großen Räumen proben und keine Ventilatoren verwenden, da sie die Raumluft von Person zu Person befördern. Die Charité-Forscher merken an, dass der Orchestergraben für eine gute Belüftung ungünstig sei. Sie betonen außerdem die gängigen Hygieneregeln: regelmäßig Händewaschen, Mund-Nasen-Schutz tragen im Backstage-Bereich und Abstand halten zu den Musikerkollegen.

Proben und Konzerte sind möglich

Das Fazit der Wissenschaftler aus München und Berlin lässt aufatmen: Instrumentalisten und Sänger haben kein höheres Infektionsrisiko als Personen, die sich im gleichen Raum befinden und miteinander sprechen. Abstände von mehr als zwei Metern sind daher nicht nötig. Das bedeutet zwar, dass es wohl zu Corona-Zeiten aus Platzgründen keine großen Orchesterbesetzungen geben wird. Doch die Studien zeigen: Hygienekonzepte, die einen Proben- und Konzertbetrieb in Corona-Zeiten wieder ermöglichen könnten, sind umsetzbar. Das hat auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) erkannt. Sie will die Charité-Studie "in Neustart-Überlegungen intensiv mit einbeziehen".

Berufsgenossenschaft reagiert

Die Studien haben auch direkt Veränderungen bewirkt: Für den Arbeitsschutz empfahlt die Berufsgenossenschaft VGB in ihren Standards vom 6. Mai für Blasinstrumente einen Abstand von zwölf Metern in Blasrichtung und drei Metern in alle anderen Richtungen. In einer aktualisierten Fassung vom 7. Mai, die BR-KLASSIK vorliegt, sind die Abstände deutlich reduziert: Instrumentalisten sollen mindestens zwei, besser drei Meter Abstand zur nächsten Person einhalten, zum Dirigenten (in Proben) drei Meter. Auch für Chorsänger werden drei Meter vorgeschrieben. Kondensat bei Blasinstrumenten soll beseitigt und desinfiziert werden. Auch Trennwände oder -scheiben werden empfohlen.

Sendung: Allegro am 7. Mai 2020 ab 06.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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