BR-KLASSIK

Inhalt

Premierenkritik "Aida" an der Deutschen Oper Berlin

Beim Stichwort "Aida" denken die meisten zuerst an Kreuzfahrten, zweitens an Elefanten und drittens an die großartige Arena von Verona. Lyoner-Würste spielen in diesem Zusammenhang bis jetzt eine untergeordnete Rolle - außer gestern Abend an der Deutschen Oper Berlin. Da verlegte Regisseur Benedikt von Peter die "Aida" kurzerhand vom fernen Ägypten an einen Küchentisch, an dem deftige Brote geschmiert wurden, mit reichlich Butter und dicken Lyoner-Scheiben.

Szene "Aida" Deutsche Oper Berlin | Bildquelle: Marcus Lieberenz

Bildquelle: Marcus Lieberenz

Premierenkritik

Verdis "Aida" an der Deutschen Oper Berlin

Kein Wunder, dass der schüchterne Hausmann Radames bei so viel ungesunden Kalorien von einem besseren Leben zu träumen beginnt. Was dann zu sehen ist, polarisiert das Publikum, wie immer, wenn Benedikt von Peter inszeniert. Das Wut- und Bravogeschrei am Ende ist turbulent, der Berliner Zuschauer ist meinungsfreudig, und so radikal entrümpelt, so drastisch war die "Aida" lange nicht zu erleben.

Surround-Sound im Opernhaus

Die gesamte Handlung spielt auf dem zugedeckten Orchestergraben. Ein Steg ragt weit ins Publikum, bis in die achte Reihe. Auf der Hauptbühne, also hinter den Sängern, sitzen die Musiker, abgeschirmt von einem transparenten Gazevorhang. Im Vordergrund sind Monitore aufgebaut, auf denen schemenhafte Gesichter zu sehen sind. Außer dem erwähnten Küchentisch und zwei Stühlen wird kein Mobiliar gebraucht. Eine Kamera filmt ab, was auf dem Tisch herumliegt: Neben der Lyoner-Wurst etliche Bücher über Ägypten und Frühstücksporzellan. Eine Alltagsszene also.

Hier lebt Radames, offensichtlich ein reichlich verklemmter Intellektueller im dunklen Pullover, mit seiner patenten Frau Amneris, die recht selbstbewusst den Haushalt schmeißt. Aida ist nur eine blasse Fata Morgana, eine Frau, die sich Radames erträumt, inspiriert von einem cremeweißen Kleid, das aus irgendeinem Grund herumliegt. Alle anderen mitwirkenden Personen, insbesondere der Chor, sitzen im abgedunkelten Zuschauerraum verteilt, sind also über drei Stunden hinweg weitgehend unsichtbar. Akustisch ist das freilich beeindruckend: Erstens werden die Zuschauer rundum beschallt, zweitens müssen die Sänger das weiter hinten spielende Orchester nicht übertönen. Aber geht das überhaupt, eine "Aida" ohne Triumphmarsch, ohne Pomp, ohne Ägypten-Folklore, ohne jeden äußeren Zierrat, als Zwei-Personen-Stück über eine langweilige Ehe und die ideale Liebe?

Aida als Psycho-Studie

Regisseur Benedikt von Peter ist um originelle Sichtweisen und Antworten nicht verlegen: Verdi habe zum Beispiel bei der Beschreibung einer idealen Landschaft gar nicht Äthiopien im Sinn gehabt, sondern die Toskana. Das mag sein, und natürlich lässt sich "Aida" als Fantasie eines Hausmanns inszenieren. Leider verliert diese Interpretation jedoch über drei Stunden hinweg an Überzeugungskraft. Bekanntlich werden Radames und Aida am Ende zusammen eingemauert - hier dagegen mauert sich Radames quasi selbst ein in seine Gedankenwelt, driftet ab in seine Wunschvorstellungen. Auch tragisch, aber optisch wenig berührend. Ausgerechnet das Spektakel-Stück "Aida" so radikal als Psycho-Studie zu zeigen, ist mutig, aber nicht durchweg plausibel.

Der junge Dirigent Andrea Battistoni kommt ironischerweise aus Verona und leitete das Orchester so furios, als ob er tatsächlich die Arena beschallen musste. Seine ganz große Leidenschaft war fast schon eine Satire auf das stark reduzierte Regiekonzept. Stimmlich war es ein ausgesprochen erfreulicher, wenn auch nicht sensationeller Abend. Die Russin Anna Smirnova gab eine fulminante Amneris im Hausfrauen-Look, ihre Landsfrau Tatiana Serjan als Aida tat sich etwas schwer damit, durchgehend als Gespenst über die Bühne zu spuken. Der koreanische Tenor Alfred Kim war ein äußerst glaubwürdiger Radames. Grandios auch der Chor, der mit der schwierigen Aufstellung im Saal zu Recht kommen musste. Von dieser hochumstrittenen "Aida" wird noch viel die Rede sein - Oper als Lyoner-Alptraum statt Historienschinken. Und die Elefanten hätten auch gar nicht unter den Küchentisch gepasst.

    AV-Player