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Kritik - Hindemiths "Harmonie der Welt" in Linz Intellektueller Kraftakt

Vordergründig geht es in Paul Hindemiths Oper um den Astronomen Kepler, letztlich jedoch um nichts weniger als den Sinn des Lebens. Das philosophisch aufgeladene Werk fordert Sänger und Publikum bis an die Grenzen. Dietrich Hilsdorf inzeniert das Werk am Landestheater Linz als episches Theater im Sinne Brechts - mit beeindruckenden Ergebnissen.

Szenenbild aus Hindemiths Oper "Die Harmonie der Welt" am Landestheater Linz | Bildquelle: © Thilo Beu

Bildquelle: © Thilo Beu

Von wegen: "Harmonie der Welt" - über dreieinhalb Stunden hinweg wird nur gestritten, gezetert, gekämpft und gerungen. Und ja, das war anstrengend - so anstrengend, dass einige Zuschauer in der Pause flüchteten. Paul Hindemith macht es einem nicht leicht, kein Wunder, dass seine Opern inzwischen nur noch selten aufgeführt werden. In der "Harmonie der Welt" geht's um nichts weniger als den Sinn des Lebens, sehr grundsätzlich, sehr nachdenklich, sehr tiefsinnig. Dafür sind dann dreieinhalb Stunden eigentlich wieder kurz bemessen, denn wer wäre mit der Frage nach dem Urgrund seiner Existenz jemals fertig geworden?

Die "Brecht-Gardine"

Hindemiths Oper, uraufgeführt 1957 in München, ist zweifellos theorielastig, philosophisch, oder, in der Theatersprache, ein "Thesenstück". Da war es eine gute Idee von Regisseur Dietrich Hilsdorf, diese "Harmonie der Welt" am Landestheater Linz mit den Mitteln von Bertolt Brechts epischem Theater zu zeigen. Auch bei Brecht drehte sich ja immer alles um das richtige Leben in der falschen Gesellschaft. Insofern war es plausibel, mit der berühmten "Brecht-Gardine" anzufangen, ein zwar betagtes, aber immer noch effektvolles Mittel, das Publikum zur Stellungnahme zu bewegen. "Glotzt nicht so romantisch", sagt die Gardine, sondern verändert euch, euer Leben, eure Welt. Leider erkrankte Dietrich Hilsdorf, der das Konzept entwickelt hatte, während der Proben, so dass der Linzer Intendant Hermann Schneider einspringen musste.

Hymnus auf die Vergeblichkeit des menschlichen Strebens

Szenenbild aus Hindemiths Oper "Die Harmonie der Welt" am Landestheater Linz | Bildquelle: © Thilo Beu Szenenfoto aus "Die Harmonie der Welt" am Landestheater Linz | Bildquelle: © Thilo Beu Er hatte dann nur noch zwölf Tage Probenzeit, wenig, für so ein groß besetztes Stück mit zwei Chören und knapp zwanzig Solisten. Dennoch war es eine optisch packende Deutung: Ausstatter Dieter Richter hatte einen Globus entworfen, eine kreisrunde, gläserne Kuppel, Sinnbild der neuen Weltordnung, die im 17. Jahrhundert, zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges, ja noch höchst umstritten war - mit der Sonne im Zentrum und den darum kreisenden Planeten. Der berühmte Astronom Johannes Kepler ringt mit diesem Kosmos und parallel dazu mit seinem Leben, stellvertretend für die Zuschauer. Er sucht nach der titelgebenden "Harmonie der Welt" und findet sie erst im Tod. Kepler deutet die Sterne für den böhmischen König, für den Feldherrn Wallenstein, rettet seine Mutter vor den Hexenverfolgern und seine Frau vor den Kriegswirren. Nirgends herrscht Harmonie, alle jagen ihrem Glück hinterher, in einer Welt, die im Dreißigjährigen Krieg ähnlich aggressiv und unübersichtlich war wie heute Syrien. Frieden gab es damals allenfalls am bestirnten Himmel, wo Paul Hindemith seine Oper auch enden lässt, gipfelnd in einem opulenten Hymnus auf die Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens.

Staunenswerte Koordinations-Arbeit

Mut und Demut lautet hier also die Antwort auf die Sinnfrage. Anstrengend ist das deshalb, weil die Sänger wahre Textmassen bewältigen müssen, Theorie auf Theorie türmen. Wer nicht ganz sattelfest ist in Geschichte, Astronomie, Philosophie muss sehr aufpassen. Gleichwohl gelang dem Landestheater Linz eine beeindruckende Premiere: Dirigent Gerrit Prießnitz und die Chorleiter Georg Leopold und Martin Zeller leisteten überzeugende, ja staunenswerte Koordinations-Arbeit, zumal Regisseur Hermann Schneider die Mitwirkenden immer wieder im Zuschauersaal verteilte, auch dies natürlich ein bewährtes Mittel des epischen Theaters von Bertolt Brecht, nach dem Motto: "Alle aufpassen, wir sind unter euch!" Unter den Solisten ragten Seho Chang als Kepler, Sandra Trattnigg als seine Ehefrau und Sven Hjörleifsson als Gehilfe Ulrich heraus. Jacques le Roux als Wallenstein und Dominik Nekel als Kaiser waren nicht ganz so energiegeladen und hätten ruhig etwas dominanter auftreten können. Insgesamt ein ungeheurer intellektueller Kraftakt für Künstler wie Publikum, die gleichermaßen erschöpft waren. Denken soll ja auch Kalorien verbrennen - wenn das stimmt, macht die "Harmonie der Welt" alle Beteiligten leichter. Aber nicht mal Keplers Horoskope waren in diesem Punkt eindeutig.

"Die Harmonie der Welt" in Linz

Landestheater Linz, Großer Saal Musiktheater
Premiere:
7. April 2017

Weitere Vorstellungen:
Dienstag, 11. April 2017, 19.30 Uhr
Montag, 24. April 2017, 19.30 Uhr
Mittwoch, 10. Mai 2017,19.30 Uhr
Dienstag, 23. Mai 2017,19.30 Uhr
Freitag, 02. Juni 2017,19.30 Uhr
Mittwoch, 07. Juni 2017,19.30 Uhr
Sonntag, 11. Juni 2017,19.30 Uhr
Samstag, 17. Juni 2017, 17.00 Uhr

Weitere Infos unter
landestheater-linz.at

Sendungsthema aus "Allegro" am 10. April 2017, 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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