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Kritik - Uraufführung "Die Weiden" an der Wiener Staatsoper Reise in die österreichische Finsternis

Lange gab es an der Wiener Staatsoper keine Uraufführung mehr. Zusammen mit dem Librettisten Durs Grünbein schrieb Johannes Maria Staud nun eine überaus politische Oper. Der österreichische Komponist nimmt darin Bezug zum allgemeinen europäischen Rechtsruck. Für die Regie zeichnet Andrea Moses verantwortlich. Premiere war am 8. Dezember 2018.

Szene aus "Die Weiden" an der Wiener Staatsoper | Bildquelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Bildquelle: Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

Ein Kompositionsauftrag der Wiener Staatsoper für ein abendfüllendes, groß besetztes Werk, das ist für einen Komponisten Mitte 40 sowas wie ein Sechser im Lotto. Die letzte Uraufführung, Aribert Reimanns "Medea", ist hier acht Jahre her. Und Reimann ist ein unangefochtener Altmeister, dessen Literaturopern damals schon längst im Repertoire waren. Johannes Maria Staud dagegen hat hier eine ziemlich einmalige Chance. Und fährt volles Risiko. Im Jahr 2015, auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise, beschließt er, ein politisches Stück zu schreiben: eine Oper als Frontalangriff auf den Rechtspopulismus.

Die Inszenierung in Bildern

An Mut fehlt es Staud und seinem Librettisten Durs Grünbein nicht. "Die Weiden" ist eine Generalabrechnung mit völkischen Demagogen und rassistischer Heimattümelei. Mehr als ein Hauch von Thomas Bernhard liegt über dem Abend. Die Geschichte, ein Polit-Märchen, über dessen Bedeutung man nicht lange rätseln muss, erzählt von einem jungen Liebespaar. Er ist Österreicher, sie Tochter von jüdischen Holocaust-Überlebenden aus den USA. Er zeigt ihr seine Heimat. Gemeinsam fahren sie in einem Kanu die Donau herunter – und geraten in einen braunen, alles verschlingenden Strudel. Die Reise ins Herz der österreichischen Finsternis führt von einer schmierigen Provinz-Hochzeit mit Schlagermusik geradewegs in eine faschistische Wahlkampfveranstaltung. Man begegnet einem rechtsintellektuell schwadronierenden Komponisten, der wie Richard Wagner schreibt, einem Jäger, der Flüchtlinge misshandelt, und mengenweise fetten Wutbürgern.

Trachten, Mehlspeisen, Nazis - mit vollem Karacho in die Klischees

Regisseurin Andrea Moses macht noch das beste aus diesem Albtraum-Austria: Sie holt die komischen Seiten nach vorne, versucht sich an einer Art Populismus-Sause. Doch für eine bissige Travestie ist das Textbuch von Durs Grünbein viel zu bedeutungsschwer. Vor allem, weil immer wieder die Verbrechen der Nazi-Zeit heraufbeschworen werden: Am Schluss, wenn die Donau den ganzen Spuk mit sich reißt, tritt eine Art Chor der jüdischen Holocaust-Opfer auf die Bühne, in denen die Besucherin aus den USA ihre ermordeten Vorfahren erkennt. Aber zeugt es wirklich von Respekt vor den Opfern, wenn man sie quasi veroperte Wahlkampfreden halten lässt? Und ist die gegenwärtige Konjunktur eines nationalistischen Populismus wirklich so einfach als Wiederkehr der NS-Zeit zu erklären? Schließlich handelt es sich um ein weltweites Phänomen.

Mehr Achselzucken als Betroffenheit

Für eine wirkungsvolle Persiflage ist das Stück jedenfalls zu pathetisch-moralisch. Und gleichzeitig viel zu plakativ, um rechte Rattenfänger ernsthaft in Erklärungsnot zu bringen. Zumal die Musik von Johannes Maria Staud zwar alle Mittel auffährt, von träumerischer Kammermusik über Zitate und elektronische Sounds bis zu großen, rhythmisch effektvollen Orchesterentladungen. Aber sie bleibt zu flächig und unverbindlich, um wirklich unter die Haut zu gehen. Höflichen Applaus bekommen das Staatsopernorchester unter der versierten Leitung von Ingo Metzmacher und die Sänger, allen voran der stimmgewaltige Tomasz Konieczny als Peter und die großartige Rachel Frenkel. Sie lässt sich zwar als indisponiert ansagen, haucht aber der abziehbildhaften Hauptfigur mit ihrer warmen und leuchtenden Stimme erstaunlich viel Leben ein. Eine richtig politische Oper, gern zugespitzt, aber nachdenklich machend – das wäre was gewesen. "Die Weiden", und das liegt vor allem am Textbuch, erzeugen mehr Achselzucken als Betroffenheit. Das kann man allzu leicht wegnicken.

Sendung: "Allegro" am 10. Dezember 2018 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Dienstag, 11.Dezember, 21:26 Uhr

Michael E Corby

corbycom@durcon.co.uk

I looked forward to this having treated myself to a holiday for the art shows and opera. I chair an opera company and have commissioned pieces by contemporary composers, thus I am open minded about musical modernism.
Sadly this opera just does not work. The staging was superb, orchestra, conductors, and singers did their considerable best, but there was too much which one has heard before and too much which one has seen before.
The jazz set piece was done by Michael Tippet a long time ago, the creepy wood in the Peter Book production of a Midsummer Night's Dream, the floating boat in the Second Mrs Kong, and Dove's Flight all at Glyndebourne. The quote of Tristan, whiles referring to Valkyrie in the text was puzzling - which were we supposed to think of? Wagnerian references again are old hat. Musical collage like its artistic counterpart is past its sell by date.
So sorry to write this as clearly the composer and all concerned put in a huge effort.

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