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Dirigentinnen - eine Bestandsaufnahme Frauen vor dem Orchester

Oksana Lyniv ist derzeit Chefdirigentin an der Oper Granz, Mirga Gražinytė-Tyla ist die Nachfolgerin von Andris Nelsons beim City of Birmingham Symphony Orchestra, Joana Mallwitz ist neue Generalmusikdirektorin in Nürnberg. 2019 scheint es mehr erfolgreiche Dirigentinnen zu geben, als jemals zuvor. Wie weit sind wir im Jahr 2019 mit der Gleichstellung am Pult? Eine Bestandsaufnahme.

Dirigentin Joana Mallwitz | Bildquelle: Nikolaij Lund

Bildquelle: Nikolaij Lund

Oft in Nischen, immer öfter in Chefpositionen

Sie ist die berühmteste: Simone Young. Und sie ist es so leid, das Thema. Im Jahr 2000 antwortete die Dirigentin auf die Frage, ob sie nicht gerne ein paar mehr Konkurrentinnen hätte: Ja, sehr gerne - "weil dann wäre das Thema endlich mal vom Tisch!"
Fakt ist: Frauen als Dirigentinnen sind auf der ganzen Welt, aber besonders in Mitteleuropa, eine Rarität. Von über 130 Orchestern in Deutschland werden gerade mal drei von Frauen geleitet (Stand: November 2017). Unter ihnen ist Julia Jones, die als Generalmusikdirektorin des Sinfonieorchesters Wuppertal tätig ist. Außerdem leitet Joana Mallwitz seit dieser Spielzeit die Staatsphilharmonie Nürnberg. Am Mainfranken Theater Würzburg ist die in Paris geborene Marie Jacquot seit 2016 stellvertretende Generalmusikdirektorin. Die Ukrainerin Oksana Lyniv hat ihre Assistenz bei Kirill Petrenko an der Bayerischen Staatsoper mittlerweile abgegeben und ist 2017 als Chefdirigentin an die Oper Graz gewechselt. Oft sind Frauen noch in Nischen wie der Alten oder der Neuen Musik zu finden - aber es tue sich etwas, meint Mary Ellen Kitchens, eine der Geschäftsführerinnen vom "Archiv Frau und Musik" und erinnert an die Debatte um einen Nachfolger - oder eben eine Nachfolgerin - in der Chefposition bei den New Yorker Philharmonikern. Auch die Finnin Susanna Mälkki war für den wichtigen Posten im Gespräch gewesen.

"Männliche" und "weibliche" Musik?

Susanna Mälkki | Bildquelle: Astrid Ackermann Die finnische Dirigentin Susanna Mälkki | Bildquelle: Astrid Ackermann Zum Glück ist die Frage, ob eine Frau überhaupt dafür geeignet sei, ein Orchester zu dirigieren, inzwischen überwunden. Fast zumindest. Manche festgefahrene Meinung existiert noch: So behauptete der finnische Professor Jorma Panula 2014 im finnischen Fernsehen, Frauen könnten keine "männliche" Musik - er nennt Bruckner und Strawinsky - dirigieren, sondern nur "weibliche" wie Debussy. Damit wärmte er eine veraltete Diskussion auf, als es noch darum ging, dass Orchesterleitung eine Machtposition sei, in der das sensible Geschlecht nichts verloren hätte. Simone Young, immer schon Vorkämpferin, räumte damit bereits vor vielen Jahren auf.

Ich glaube, wir machen grundsätzlich einen Fehler, indem wir Männlichkeit mit Stärke verbinden und Weiblichkeit mit Sensibilität. Jeder Künstler braucht Stärke und Sensibilität, egal ob es Mann oder Frau ist.
Simone Young

Dirigentin Alondra de la Parra | Bildquelle: Cicero Rodrigues Alondra de la Parra leitet ab 2017 das Queensland Symphony Orchestra | Bildquelle: Cicero Rodrigues Die Zeit der großen Maestri, der Pultdiktatoren á la Karajan, scheint eh vorbei. Das Berufsbild Dirigent/Dirigentin hat sich gewandelt - weg vom über allen thronenden Boss hin zur Vermittlerfigur. Mary Ellen Kitchens vom "Archiv Frau und Musik" spricht von einem großen Wandel "im Sinne von kollegialer Zusammenarbeit". Man sehe zunehmend die Möglichkeit eines Austauschs auf Augenhöhe, "die Möglichkeit, Anregungen aus dem Orchester anzunehmen - da hat der Stil sich gewandelt."
Dennoch hat es gedauert, bis die Frauen am Pult angekommen sind. Schon längst sind Ärztinnen, Richterinnen oder Politikerinnen keine Ausnahme mehr - auch wenn natürlich noch nicht von einer Gleichstellung die Rede sein kann. Warum mussten wir so viel länger auf die Dirigentinnen warten? Kitchens verweist auf die historische Situation - Frauen spielten ja überhaupt erst seit ein paar Jahrzehnten im Orchester. Dirigieren sei außerdem eine sehr visuell geprägte Tätigkeit: "da spielen alle Vorurteile auch mit: Eine Frau wird eine andere Körperlichkeit haben, die man nicht per se mit diesem Berufsbild so stark verbindet."

"Wir sind in einem positiven Prozess"

Der Anfang ist gemacht, nun ist es also eine Frage der Gewöhnung. Kitchens ist zuversichtlich. Sie erinnert an eine Podiumsdiskussion, die "musica femina München" und das "Archiv Frau und Musik" veranstaltet haben: "Wir endeten mit der Frage: Wie lange dauert es noch, bis eine Frau das Neujahrskonzert in Wien dirigiert? Viele von uns haben gesagt: Fünf Jahre, aber wir müssen halt unser Lobbying weitermachen. Es ist viel Bewegung drin, wir sind in einem positiven Prozess."

Dirigentinnen über die Jahrhunderte - ein historischer Überblick

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