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Bayreuther Festspiele Erinnerungen an den Neustart in den 50er-Jahren

Bei Bayreuther Festspielen geht’s um große Stimmen, um große Inszenierungen, aber die besondere Atmosphäre am Hügel entsteht auch und vor allem durch leidenschaftliche Mitwirkende – auch die, die man selten auf der Bühne sieht. Das war bereits zu Zeiten "Neubayreuths", also beim Neustart der Festspiele Anfang der 50er Jahre, so. Gerlinde Zehentmeier war in den ersten Jahren von Neubayreuth dabei, an den Türen und sogar auf der Bühne. Für BR-KLASSIK hat die heute 88-Jährige ihr Erinnerungsalbum geöffnet.

Bildquelle: Gerlinde Zehentmeier

Der Beitrag zum Anhören

Im Frühsommer 1951 wusste die 16-jährige Gerlinde noch gar nichts von den Festspielen, aber ein Aufruf in der Zeitung, der Chor der Festspiele suche noch Sangesfreudige, reizte sie. "Teenager probieren alles mal aus", lächelt Gerlinde Zehentmeier heute, wenn sie sich erinnert, wie sie mit ihrer Schulfreundin zum Vorsingen stürmte. "Wir haben uns das eine Zeit lang angehört und haben eingeschüchtert vom Können der anderen gedacht, wir gehen besser mal wieder." Aber dann kam jemand auf die Bühne, der erklärte, die Festspiele suchten eine ganze Menge junger Mädchen und alle, die Interesse haben, sollen sich melden. "Ihr hört dann von uns", hieß es. Eine Woche später war sie engagiert – als Tänzerin, als "Mädel aus Fürth" in den "Meistersingern". Das Schreiben mit der Einladung zur ersten Probe steckt noch heute in Gerlinde Zehentmeiers Erinnerungsalbum, genau wie ihre ersten Hausausweise.

Tanzproben mit Karajan

Gerlinde Zehentmeier war Anfang der 50er Jahre als Tänzerin und "Blaues Mädchen" bei den Bayreuther Festspielen beschäftigt | Bildquelle: Gerlinde Zehentmeier Die Hausausweise der Neubayreuther Zeit | Bildquelle: Gerlinde Zehentmeier 1951 dirigierten Herbert von Karajan und Hans Knappertsbusch im Wechsel die "Meistersinger" – das war für die Mädchen durchaus eine Herausforderung, erinnert sich Gerlinde Zehentmeier: "Wir fanden, bei Karajan waren wir zehn Minuten schneller fertig, Knappertsbusch war ja berüchtigt für seine langsamen Tempi, das war auch schwer beim tanzen, wenn der so langsam dirigiert hat."

Es war unglaublich schön, mit diesen großen Künstlern zusammenzuarbeiten.
Gerlinde Zehentmeier

Der Orchestergraben war für die Proben überbrückt, so dass man vom Regiepult im Zuschaurraum leicht auf die Bühne kommen konnte. "Und einmal hat dem Karajan irgendwas an dem Tanz nicht gefallen und dann ist er schnurstracks über diese Brücke auf die Bühne, hat sich ein Mädchen geschnappt und gesagt: 'So machen wir das.' Und hat uns dann den Tanz, wie er ihn gern hätte, erklärt." Klar, dass im Album eine Autogrammkarte von Karajan nicht fehlen darf.

Als Ersatz auf die Bayreuther Festspielbühne

Gerlinde Zehentmeier war zunächst nur als Ersatztänzerin gedacht – dass sie dann tatsächlich zum Einsatz kam, war dem Pech eines anderen Mädchens geschuldet. Das war offenbar auf die Schminke allergisch, und so wurde Gerlinde in das Kostüm der anderen gesteckt und auf die Bühne geschickt. Da muss das Foto (s. oben) entstanden sein, das sie als ihr "Starfoto" bis heute im Album hegt – ein Einzelbild von ihr, wie sie sich vor dem Auftritt konzentriert die mittelalterliche Haube zurechtrückt. 1951 und -52 tanzt sie in insgesamt elf Vorstellungen und wird zur unersättlichen Wagner-Fanatikerin.

Heimlich in die Proben als Blaues Mädchen

Gerlinde Zehentmeier war Anfang der 50er Jahre als Tänzerin und "Blaues Mädchen" bei den Bayreuther Festspielen beschäftigt | Bildquelle: Gerlinde Zehentmeier Gerlinde (links) mit einer Kollegin von den Blauen Mädchen, 1953/54. | Bildquelle: Gerlinde Zehentmeier Als die "Meistersinger" abgesetzt werden, wird Gerlinde Zehentmeier 1953 und -54 Blaues Mädchen, also Logenschließerin, sieht fast jede Vorstellung und verbringt jede freie Minute im Festspielhaus. Manchmal rast sie schon morgens um 10 auf den Grünen Hügel und guckt auf den Probenplan: "Karajan probt Tristan. Dann bin ich mit meinem Schlüssel, den ich als Blaues Mädchen hatte, an der Türe VI heimlich rein und dann war ich ganz allein im Haus. Und der Karajan hat auf der Bühne geprobt wie ein Irrer. Also unbegreiflich! Alleine im Haus!" Einmal steht sie oben im Schnürboden bei den "Stimmen aus der Höhe" im "Parsifal", ein anderes Mal schleicht sie sich auf die Seitenbühne und beobachtet den "Tannhäuser". Plötzlich steht jemand hinter ihr und fängt an, leise mitzusummen. "Aber eine Stimme!! Ich hab gedacht, wer ist das? Und dann hab ich mich ganz vorsichtig umgedreht, dann wars der Fischer-Dieskau. Fantastisch! Da schmilzt man nur dahin!"

Wolfgang Wagner spendierte Sekt

Neben Autogrammkarten von Fischer-Dieskau, Schwarzkopf, Keilberth und vielen anderen Bayreuth-Stars der Zeit, ist auch ein Zeitungsartikel in ihrem Album: Zwillingssschwestern, die wie Gerlinde Zehentmeier Blaue Mädchen waren, feierten ihren 18. Geburtstag, am 30. August, dem letzten Tag der Festspiele – und dem Geburtstag von Wolfgang Wagner. Bei der Betriebsfeier saßen die Mädchen zusammen "und er hat das erfahren und kam und hat eine Flasche Sekt spendiert".

Der Wieland war immer so elitär. Der Künstler, der hat sich nicht mit dem Volk gemein gemacht. Der Wolfgang, der war leutselig und ganz leger.
Gerlinde Zehentmeier

Der Duft der Werkstatt Bayreuth

Gerlinde Zehentmeier war Anfang der 50er Jahre als Tänzerin und "Blaues Mädchen" bei den Bayreuther Festspielen beschäftigt | Bildquelle: Antonia Goldhammer Gerlinde Zehentmeier heute | Bildquelle: Antonia Goldhammer Bis heute ist Gerlinde Zehentmeier ihrer damals als Teenager erworbenen Wagner-Sucht verfallen. Sie verpasst keine Radioübertragung aus Bayreuth. Neben der Musik und den Schätzen in ihrem Album gibt es aber noch etwas, das die Erinnerung an die Werkstatt Neubayreuth sofort lebendig werden lässt. "Der Geruch von Holz und Leim ... Bayreuth war ja wirklich eine Werkstatt damals", sagt sie versonnen. "Wenn der Vorhang aufging, kam in den Zuschauerraum ein Schwall von Leim und frischem Holz von den Kulissen, die gerade alle erst gemacht waren … Das riech ich heut noch!"



Sendung: "Allegro" am 26. Juni 2023 ab 6:05 Uhr auf BR-KLASSIK

Kommentare (1)

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Mittwoch, 28.Juni, 17:35 Uhr

Brigitte Steinert

Gerlinde Zehentmeier und Keilbert(h)

Was für ein schöner Bericht über den berühmten Bayreuther Neuanfang nach dem 2. Weltkrieg. Ich kann mir gut vorstellen, was diese Erinnerungen heute noch für Gerlinde Zehentmeier bedeuten. Danke.
Ich habe 1976 an der Uni Bayreuth gearbeitet und den Jahrhundertring miterlebt! Auch eine großartige Zeit.
Aber auf die Gefahr, Ihnen langsam auf den Geist zu gehen: Der Dirigent Keilbert schreibt sich mit "h" am Ende, also Keilberth. Und damit keine weiteren Irrtümer passieren: mit vollem Namen Joseph Keilberth. Viele Grüße aus München.

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