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"Le nozze di Figaro" in Hamburg Spaßtheater ohne politische Brisanz

Eine Bettgeschichte in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs - das ist Mozarts "Le nozze di Figaro". An der Staatsoper Hamburg spart Regisseur Stefan Herheim den politischen Aspekt jedoch aus. Was bleibt, sind dreieinhalb Stunden Spaßtheater.

Schweigeminuten, Solidaritätsadressen, Kampfansagen: Nach den Terroranschlägen von Paris können die Theater nicht einfach weiterspielen, als ob nichts gewesen wäre, das ist klar, aber welche Reaktion ist die angemessene? An der New Yorker Metropolitan Opera sang das Publikum am Wochenende spontan die französische Nationalhymne, die Marseillaise. Die Hamburger reagierten gestern Abend weniger emotional: Vor der Premiere von Mozarts "Hochzeit des Figaro" trat Intendant Georges Delnon vor den Vorhang, etwas unschlüssig wirkend. Die westliche Zivilisation müsse verteidigt werden, die Theater müssten vor allem spielen, um das zu erreichen. Höflicher Applaus, und die Frage: Können Theater wirklich Toleranz, Liberalität, Weltoffenheit verbreiten, oder richtet sich ihre Botschaft doch eher ans falsche Publikum?

Mix aus Spermien und Noten

Wie auch immer, der "Figaro" begann somit zwangsläufig sehr nachdenklich. Ein kunstvoller Animationsfilm sorgte dann für die nötige heitere Einstimmung: Die handschriftliche Mozart-Partitur ist zu sehen, die Kamera saust über die Noten, die plötzlich lebendig werden: Strichmännchen rasen über die Linien, Mann und Frau, plötzlich, das Publikum beginnt zu lachen, werden Spermien sichtbar, die ja eine ähnliche Form wie Noten haben, und verfolgen eine Frau. Damit ist das Thema vorgegeben: "Le Nozze di Figaro" ist eine wilde Bettgeschichte, eine erotische Verwechslungskomödie, wie sie das lustvolle 18. Jahrhundert liebte.

Regisseur Stefan Herheim und sein Ausstatter Christof Hetzer stellten folglich ein geräumiges Doppelbett in die Bühnenmitte, drum herum ein Tunnel aus Notenblättern. Mozarts Musik kreist also sinnbildlich um die Matratze im Zentrum. Auch alle Kostüme von Gesine Völlm, die den Rokoko-Stil karikieren, sind mit Notenlinien bedruckt. Musik überall. Herheim gilt als Liebling der Kulturteile und des Publikums. Er ist vielleicht der fantasievollste aller derzeitigen Opernregisseure, zaubert verspielte, magische, anspielungsreiche Räume. Nicht von ungefähr hat Herheim viele Erfahrungen mit dem Puppentheater. Was die einen poetisch und herzerfrischend finden, halten andere mitunter für albern und allzu niedlich-süßlich.

Politischer Aspekt ausgespart

Auch beim "Figaro" am Sonntagabend wirkte das anfänglich frech-frische Konzept zunehmend konfus und arg oberflächlich. Sicherlich wollte Herheim die Kunstform der commedia dell'arte ironisieren, also das italienische Straßentheater zu Mozarts Zeiten zitieren, mit Riesenperücken, grell geschminkten Gesichtern und lächerlichen Reifröcken. Die politische Brisanz, die im "Figaro" steckt, interessierte Herheim und sein Team offensichtlich nicht - geht es doch darum, dem blasierten Grafen Almaviva beizubringen, dass die Zeiten der feudalen Herrschaft vorbei sind. Das war vor der französischen Revolution gewagt. Nun muss diese gesellschaftskritische Ebene nicht immer mitinszeniert werden, aber über reines Spaßtheater sollten dreieinhalb Stunden "Le nozze di Figaro" schon hinausgehen. Das war in Hamburg leider nicht der Fall.

Musikalisches Mittelmaß

Obendrein dirigierte Ottavio Dantone etwas eintönig - mehr Mut zu Tempo- und Stimmungswechseln hätte dem Abend gut getan. Unter den Sängern überzeugte die Ungarin Dorottya Lang als ungezwungener und unerzogener Page Cherubino in der dankbaren Hosenrolle. Ansonsten viel solides Mittelmaß, wenig Brillanz. Wilhelm Schwinghammer gab einen unauffälligen Figaro, Katerina Tretyakova eine allzu gravitätische Susanna. Der türkische Bariton Kartal Karagedik war als Graf Almaviva spielfreudig, aber stimmlich etwas farblos. Vielleicht war dieser Sonntag auch nicht die richtige Zeit für eine ausgelassene Mozart-Komödie - oder gerade doch? Am Ende viel Beifall, sehr vereinzelte Proteste gegen die Regie. Der Norweger Stefan Herheim ist auf dem besten Wege zu einem der populärsten Regisseure der Opernszene zu werden.

"Le nozze die Figaro"

an der Staatsoper Hamburg

Musikalische Leitung: Ottavio Dantone
Inszenierung: Stefan Herheim

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