BR-KLASSIK

Inhalt

Kritik - Flotows "Martha" in Frankfurt Biedermeier überzeugend aktuell

Eine Biedermeieroper wie Friedrich von Flotows "Martha" - lässt sich die eigentlich noch auf die Bühne bringen? Ja, denn die Sehnsüchte der Menschen waren damals dieselben wie heute, meint Peter Jungblut - und gerade deshalb funktioniere die "Martha" in Frankfurt so hervorragend.

Szenenbild aus "Martha" an der Oper Frankfurt | Bildquelle: © Barbara Aumüller

Bildquelle: © Barbara Aumüller

Angeblich machen sich dreißig Prozent aller Erwachsenen im Internet auf Partnersuche, der Rest versucht es auf dem Oktoberfest. Und beide Wege sind offensichtlich nur mäßig erfolgreich, weil auf Partnerbörsen, beim Speed-Dating oder im Bierzelt kaum noch jemand die Wahrheit sagt. Deshalb gibt es furchtbar viele "intelligente, vermögende, gutaussehende, vielseitig interessierte", aber leider einsame Traumprinzen und -prinzessinnen. In erotischer Hinsicht leben wir also in einem neuen Biedermeier-Zeitalter aus lauter vollkommenen Menschen, die genauso vollkommene Menschen suchen und alle andere wegklicken.

Martha passt perfekt zu unserem Zeitgeist: Sentimental, egozentrisch, gefühlsduselig.
Peter Jungblut

Friedrich von Flotows heutzutage nur noch sehr selten aufgeführte Oper "Martha" passt perfekt zu unserem Zeitgeist: sentimental, romantisch, egozentrisch, dünkelhaft, gefühlsduselig. Zwei feine Damen spielen mit zwei einfach gestrickten Männern, die sich am Ende aber auch als feine Herrschaften erweisen, und fertig ist das doppelte Liebesglück. Eigentlich geht das nur als Satire, aber Regisseurin Katharina Thoma wählte an der Oper Frankfurt einen intelligenten Mittelweg. Sie fing mit dem Smartphone-Wahnsinn an und machte mit dem Wiesn-Rausch weiter. Sie verlegte die Handlung also in die Gegenwart, die allerdings ziemlich britisch aussah, schließlich spielt "Martha" im Londoner Stadtteil Richmond. Der Gesamttitel der Oper: "Martha oder der Markt zu Richmond"

Chor mit Schweinsmaske und Hirschgeweih

Damit der Stadtteil nicht allzu bieder aussah, ließ Katharina Thoma den Chor mal Schweinsmasken, mal Hirschgeweihe aufsetzen, mal rosa Tütüs anziehen und als Travestietruppe auftreten - das alles wäre aber gar nicht nötig gewesen. Der schicke Golfplatz dagegen war natürlich genauso unerlässlich wie das typisch englische Ale, ein kultiger Mini-Kleinwagen und ein Schottenrock. Dazu ein bombastischer Auftritt der Queen im bodenlangen Hermelinmantel und natürlich der große Hit dieser Oper - die irische Volksweise "Die letzte Rose des Sommers", bei der quasi auf Knopfdruck die Tränen fließen.

Die teils sehr verzopften Texte von "Martha" wurden behutsam modernisiert, schließlich traf das Stück den Publikumsgeschmack von 1847, aber es ist fast schon erschreckend, wie wenig Katharina Thoma die Geschichte als solche anpassen musste. Die Standesunterschiede nämlich, um die es bei Friedrich von Flotow geht haben sich nicht erledigt, sondern nur verlagert: vom Geburtsadel auf den Bildungs- und Geldadel. Akademiker heiraten Akademiker, Bankbosse daten selten eine Verkäuferin. Mag schon sein, dass in England die Klassengesellschaft bis heute besonders ausgeprägt ist, aber auch im reichen Frankfurt am Main wurde "Martha" bestens verstanden. Schön wäre es, wenn die Liebe auch im wahren Leben häufiger soziale Grenzen überschreiten würde, wenn die verwöhnte Elite häufiger ihrem Herzen statt dem Dating-Portal folgen würde.

Unsere Gegenwart sehnt sich nach genau der harmlosen Gemütlichkeit, die schon vor 170 Jahren in Mode war.
Peter Jungblut

Im Programmheft beschrieb eine Betroffene, dass sie ihren Mann im Internet nie kennen gelernt hätte, weil er älter ist als sie und zwei Kinder mit in die Beziehung brachte. Solche Profile haben keine Chance - bei der Arbeit dagegen kamen sie sich näher. Ein solches Happy End zwischen High Society-Ladys und liebenswerten Burschen inszenierte auch Katharina Thoma und plädierte damit für mehr Realismus, Demut, Bescheidenheit.
Es ist also tatsächlich möglich, diese verstaubte Biedermeier-Oper wieder aufzuführen, und zwar deshalb, weil sich unsere Gegenwart nach genau der harmlosen Gemütlichkeit sehnt, die schon vor 170 Jahren so sehr in Mode war.

Sehr Wagnerianisch mit monumentalem Klangbild

Dirigent Sebastian Weigle startete sehr wagnerianisch, mit monumentalem Klangbild, vielleicht eine kleine Reverenz: Richard Wagner nämlich seufzte mal, er werde wohl nie so ein Genie werden wie Friedrich von Flotow. Die Musikgeschichte sah es anders. Unter den Mitwirkenden glänzte Maria Bengtsson als Lady Harriet in der Hauptrolle, auch, wenn ihre Textverständlichkeit zu wünschen übrig ließ. Und der amerikanische Tenor AJ Glueckert war der kernige Lyonel. Barnaby Rea als handfester Pächter und Katharina Magiera als ebenso robuste Nancy überzeugten ebenfalls. Ein überraschender Erfolg der Oper Frankfurt - ausgerechnet Flotow so glaubwürdig auf die Bühne zu bringen, ist jedes Lob wert.

Martha oder der Markt zu Richmond

Romantisch-komische Oper von Friedrich von Flotow in vier Akten
Text von W. Friedrich nach einem Ballett von Jules-Henri Vernoy des Saint-Georges
Uraufführung am 25. November 1847. Kärtnertor-Theater, Wien

Regie: Katharina Thoma

Seit 16.10.2016 an der Oper Frankfurt mit weiteren Terminen bis 25. November.

    AV-Player