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Interview mit Gianmaria Testa "Die Musik hält mich am Leben"

Anfang des Jahres traf die Diagnose "Krebs" Gianmaria Testa wie aus heiterem Himmel. Der Italiener zog sich zurück und trat nicht mehr auf. Jetzt steht der feinsinnige Liedermacher wieder auf der Bühne.

Gianmaria Testa - BMW 2011 | Bildquelle: BR

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BR-KLASSIK: Gianmaria Testa, Sie waren sehr krank - wie geht es Ihnen jetzt?

Gianmaria Testa: Nun, ich erhole mich langsam. Manche Tage geht’s gut, manche nicht so. Man braucht halt viel Geduld und viel Kraft. Ich hoffe, dass ich es schaffe.

BR-KLASSIK: Wie hat die Krankheit die Sicht auf Ihr Leben verändert?

Gianmaria Testa: Das Leben ist vorläufiger geworden. Wir alle – auch ich – leben erst mal im Glauben, unsterblich zu sein. Aber das ist natürlich nicht wahr und nicht möglich, zumindest im Moment. Insofern hat sich mein Blick aufs Leben verändert: Das Leben ist ein Geschenk. Man bekommt eine gewisse Zeit, aber irgendwann ist es eben zu Ende.

BR-KLASSIK: Sie haben im Interview gesagt: Sie hatten keine Angst? Das fand ich sehr ungewöhnlich.

Gianmaria Testa: Ich hatte keine Angst. Und ich habe auch keine Angst. Ich fürchte mich höchstens vor körperlichen Schmerzen, die eventuell kommen könnten. Einfach aus dem Grund, weil das Leben ein bestimmter Weg ist, der kurz sein kann, oder lang oder eben mittel - und man muss diesen Weg eben gehen. Aber zum Glück habe ich die Verbindung zur Musik, die mich lebendig und am Leben hält!

BR-KLASSIK: Sie äußern sich sehr bewundernd gegenüber den Frauen. Viele Lieder kreisen um die Frauen. Sie haben gesagt, Sie denken, wenn die Welt von Frauen regiert werden würde, wäre sie besser. Warum?

Gianmaria Testa: Ich glaube, dass es besser wäre, weil ich das Gefühl habe, dass die Frauen weniger als die Männer diesen Drang nach Macht verspüren. Wir Männer sind in diesem Sinne ziemlich verdorben. Vielleicht ginge es unter der Herrschaft der Frauen  in der Welt höflicher zu und wir hätten weniger Kriege…

BR-KLASSIK: Man nennt Sie hier den Leonard Cohen Italiens. Manche vergleichen Sie auch mit Paolo Conte. Sind das schmeichelhafte Vergleiche für Sie?

Gianmaria Testa: Natürlich sind das schmeichelhafte Vergleiche, wenn auch unverdientermaßen… Auch  Paolo Conte ist Piemonteser, er wohnt ganz in der Nähe von mir. Aber bevor ich seine Lieder hörte, hörte ich vor allem Leonard Cohen und viele andere. Ich weiß nicht, ob ich ihnen ähnlich bin. Ich glaub's ehrlich gesagt nicht. Von den Texten her sind wir sehr unterschiedlich. Conte und Cohen haben dem Lied eine neue Bedeutung gegeben. Nicht mehr nur als Unterhaltung, sondern als eine Form der Kommunikation, wie auch die Poesie, die Malerei, die Literatur. Und insofern schmeichelt es mir natürlich sehr, mit ihnen verglichen zu werden.

BR-KLASSIK: Sie haben bis 2007 als Bahnwärter bei der italienischen Eisenbahn gearbeitet. Vermissen Sie manchmal die Zeit im Bahnwärter-Häuschen?

Gianmaria Testa: Ja, sie fehlt mir. Ich habe nur aufgehört, weil ich es nicht mehr geschafft habe, beides unter einen Hut zu kriegen. Aber mir fehlt die Eisenbahn – einfach aus dem Grund, weil das Singen für mich keine Arbeit ist. Es kann zwar recht anstrengend sein, aber es hat mit Fantasie zu tun. Das andere ist eine Arbeit. Wenn immer mich also jemand fragt, was ich beruflich mache, dann sage ich natürlich: Ich bin Eisenbahner. Und nicht: Ich bin Sänger.

BR-KLASSIK: Sie haben zwar lange für ein Verkehrsmittel gearbeitet, aber Sie reisen nicht mehr so gern. Was bedeutet die Heimat heute für Sie?

Gianmaria Testa: Ach, wissen Sie, mehr noch als Heimat sind die Wurzeln für mich wichtig. Ich bin echter Italiener, aber noch mehr bin ich Piemontese, also aus dem Nordwesten Italiens. Ich habe zusammen mit meinem Vater die Erde bearbeitet. Und wer seine eigenen Hände in der Erde hatte, der hat einfach tiefere Wurzeln. Ich fühle mich wie ein Baum in diesen Boden gepflanzt. ich weiß nicht, warum. Vielleicht einfach, weil ich dort geboren bin. Es viele andere Gegenden, die mir auch gefallen. Aber dort fühle ich mich einfach zu Hause. Also noch wichtiger als die Heimat ist für mich das Zuhause.

BR-KLASSIK: Schon im Jahr 2006 haben sie eine Platte über die Flüchtlinge gemacht, die ein Boot nehmen und übers Mittelmeer kommen. Zehn Jahre später nimmt Europa überhaupt erst Notiz davon. Haben wir zehn Jahre verschlafen?

Gianmaria Testa: Auf dieses Unvermeidbare, wenn man aus Hunger flüchten muss, haben wir alle (die wir viel reicher sind als diese Flüchtlinge) einfach nur mit Angst reagiert. Diese Angst war das Maß unseres Verstandes. Also haben wir uns erst mal gewehrt, indem wir die Grenzen geschlossen haben und es den Flüchtlingen schwer gemacht haben. Und zwar ohne daran zu denken, dass eigentlich wir die Armut dieser Menschen überhaupt erst verursacht haben. Zum Beispiel mit unseren Kolonien. Und auch Italien ist da nicht frei von Schuld. Zum Zweiten ist es wohl das Schicksal der Menschen, immer wieder dorthin zu flüchten, wo man meint, dass es besser sein könnte. Wir, die italiener, aber auch ganz Europa, wir sind doch selbst oft Flüchtlinge gewesen. Wir sind emigriert. Um 1890 sind um die 30 Millionen Italiener emigriert. Es gibt also ein anderes Italien außerhalb von Italien. Und jetzt sind wir an der Reihe, die aufzunehmen, die kommen. Aber das ist doch keine Invasion. Das ist lediglich der Versuch der Menschen, sich zu retten. Wenn ich in Afrika leben würde, meine Kinder nicht ernähren könnte und zusehen müsste, wie sie sterben, dann würde ich auch lieber gehen und versuchen sie zu retten.

BR-KLASSIK: Fällt Ihnen eine Lösung ein, was man besser machen könnte?

Gianmaria Testa: Nein, eine Lösung habe ich nicht. Aber zunächst sollten wir vielleicht keine Angst haben. Wenn Menschen vor Menschen Angst haben - das macht doch keinen Sinn. Angst entsteht, wenn einem das Eigene wichtiger ist, als die anderen Menschen. Das Beste, was wir haben, ist unsere Sprache, wir können sprechen.  Wir sollten die Sprache benutzen, um Mauern einzureißen, statt Mauern aufzubauen. Und Europa sollte meiner Meinung nach ein Beispiel geben – wir können auf eine große Kultur schauen, wir sollten Vorbild sein.

Das Interview für BR-KLASSIK führte Falk Häfner.

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