Regisseur Christoph Marthaler versetzt Rossinis Oper "Il viaggio a Reims" in die Umgebung des Europa-Parlaments. Was die Akteure natürlich nicht vor völlig unsinnigem Handeln bewahrt. Und die Inszenierung nicht vor einigen Buh-Rufen.
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Die Premierenkritik zum Nachhören!
Europas Eliten sind ein Club grotesker geltungsüchtiger Damen und vor allem Herren in grässlichen Kostümen und noch grässlicheren Anzügen, unmöglichen Frisuren und schlecht sitzenden Toupets. So jedenfalls stellen sie sich in Christoph Marthaler Inszenierung von "Il Viaggio a Reims" an der Züricher Oper dar. Doch das ist weiter nicht schlimm, denn auch Rossini hat selbiges Personal annähernd 200 Jahre zuvor bereits ähnlich vernichtend gezeichnet.
Rossinis Oper ist eine umwerfende Parodie auf den damals tonangebenden europäischen Adel - mit all seinen aufgeblasenen Belanglosigkeiten. Und dieses Stück schrieb der Komponist zur Krönung Karls X. von Frankreich: ein Heidenspaß und eine sagenhafte Unverschämtheit gleichermaßen.
Doch Rossini verzieh man alles! Marthaler nicht ganz, wie die Buhs am Ende der Oper bezeugten, die den Jubel über diese wunderbar bizarre Inszenierung ein klein wenig eintrübten. Nestbeschmutzer werden in der Schweiz nicht sehr goutiert, das zeigt sich immer wieder. Und wenn Marthaler zu seinem Wahnsinnskabinett noch schlecht gemalte Ölbilder von Persönlichkeiten wie Joseph Blatter und Josef Ackermann auf die Bühne stellt, ist natürlich klar, dass es sich nicht um einen Akt der Ehrerbietung handelt.
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Bei Marthaler besteht das Personal von Rossinis Oper aus Europa-Abgeordneten und deren Subalternen. Allesamt tummeln sie sich der Vorlage gemäß in einer Art Kurhotel oder Sanatorium, das Anna Viebrock mit dem ihr eigenen Sinn für liebevolle Detailarbeit als multifunktionalen, holzvertäfelten Raum mit Wassertretbecken und Konferenztisch zeigt. Einer der Kurgäste mit bedenklichem Geisteszustand geht unter Krampfzuckungen zum Wassertreten, ein anderer in haarsträubendem Provinzpolitiker-Outfit probt seine Rede, die natürlich eine Arie ist, dieweil sein Coach im Hintergrund stumm mitspricht und mitgestikuliert: eine jener umwerfenden Marthaler-Figuren, die in die Theatergeschichte eingehen werden.
Rossinis Oper ist absurdes Theater, lange bevor dieses erfunden wurde. Denn im Grunde geht es in dieser Oper um nichts, bzw. darum, dass nichts passiert. Nebenbei verlieben oder entlieben sich noch ein paar Paare. Aber das fällt nicht weiter ins Gewicht. Verblüffenderweise hat Rossini dieses Nichts in grandioseste Musik gekleidet und fordert dafür einem dreizehnköpfigen Gesangsensemble keine geringe stimmliche Akrobatik ab. Anna Goryachova, Rosa Feola, Julie Fuchs, Serena Farnocchia, Javier Camarena oder Scott Conner: Sie alle bilden ein phantastisches Ensemble, das nicht nur musikalisch begeistert, sondern auch Marthalers aberwitziges Typenkabarett grandios umsetzt.
Dabei gleicht Scott Conner John Cleese von Monty Python aufs Haar und spielt auch so. Im Grunde fehlt in dieser Parade der Absonderlichkeiten nur noch Monty Pythons berühmter "Minister of silly walks". Daniele Rustioni am Pult hält seine Musiker eher zurück, begleitet kammermusikalisch genau und feingliedrig, was bei dieser Oper mit den vielen Partien durchaus eine Leistung ist. Rossinis absurdeste Oper in Marthalers und Viebrocks grandios-grotesker Umsetzung: Das ist absurdes Theater hoch zwei und das an einem Ort, an dem im kommenden Jahr 100 Jahre Dadaismus gefeiert wird. Einen passenderen Auftakt dafür hätte die Oper Zürich nicht wählen können.