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Kritik - "Berenice" bei den Händel-Festspielen Halle Mit großem Gespür für Situationskomik

Bis heute ist "Berenice, regina d’Egitto" eine von Händels weniger häufig gespielten Opern. Am 25. Mai wurden mit "Berenice" die Händelfestpiele in Halle eröffnet, wo dieses Werk zum ersten Mal seit 1922 auf dem Spielplan stand. Damit hat Halle nun alle 42 überlieferte Opern Händels mindestens einmal szenisch auf die Bühne gebracht. Hatte der Abend mehr zu bieten als boß enzyklopädischen Wert für hartgesottene Händelfans? Auf jeden Fall; Regisseur Jochen Biganzoli entdeckt das Komische im Tragischen - und umgekehrt.

Szenenbild "Berenice, Regina d'Egitto" Händel-Oper | Bildquelle: © Theater, Oper- und Orchester GmbH, Fotos: Anna Kolata

Bildquelle: © Theater, Oper- und Orchester GmbH, Fotos: Anna Kolata

Alessando ist ein hübsches Dummchen, aber faszinierend. Typ Youtube-Influencer mit nicht sehr viel in der Birne. Dafür kann er sehr schön seine Duckface-Selfies posten und WhatsApp-Nachrichten schreiben. Und den Frauen den Kopf verdrehen, denn sowohl die Titelheldin Berenice als auch ihre Rivalin Selene möchten allzu gerne mal mit ihm in der Kiste landen. Die daraus resultierende Geschichte um Macht und Kontrollverlust wird von Regisseur Jochen Biganzoli sehr heutig erzählt, sehr witzig und sie sitzt überraschend gut - trotz des verworrenen und verwirrenden Librettos von "Berenice, regina d’Egitto".

Die Inszenierung in Bildern

Immer mal wieder im falschen Bett

Szenenbild "Berenice, Regina d'Egitto" Händel-Oper | Bildquelle: © Theater, Oper- und Orchester GmbH, Fotos: Anna Kolata Bildquelle: © Theater, Oper- und Orchester GmbH, Fotos: Anna Kolata Selbst größte Fans geben zu, dass hier die Singanlässe sogar nach barocken Maßstäben an den Haaren herbeigezogen sind. Biganzoli macht das einzig Richtige: Er hetzt sein Personal mit großem Gespür für Situationskomik durch die groteske Häufung von Zufällen, Intrigen und Liebesverwirrungen. Dazu verlegt er die Handlung in die Gegenwart und motiviert sie durch Twittermeldungen, WhatsApp-Nachrichten, eMail-Irrläufer oder Youtube-Videos. Der Effekt ist interessanterweise derselbe wie in Händels Fantasie-Antike: Man redet über- statt miteinander, glaubt allzu gerne auch den schlimmsten Unsinn, missversteht sich gründlich und landet immer mal wieder im falschen Bett.

Komödie mit tragischer Fallhöhe

Wenn sich dann mitten in der Anmache die abgelegte Geliebte meldet, wird fix bei WhatsApp getippt, "kann grad nicht, Schatz, melde mich später", zum Mitlesen projiziert auf die Wandflächen der Drehbühne von Wolf Gutjahr. Das ist so offensichtlich aus dem wahren Leben geschöpft, dass bei den Händelfestspielen herzlich gelacht wird über das Komödienpotenzial dieser eigentlich sehr ernsten Oper. Weil Regisseur Biganzoli die Charaktere aber ernst nimmt, während er sie durch die irrsinnigsten Intrigen jagt, bekommt die Komödie eine tragische Fallhöhe. Wie die verlassene Berenice nachts vor dem leuchtenden Kühlschrank aus Frust die Eisvorräte weglöffelt, ist zwar grotesk, aber gleichzeitig auch sehr traurig.

Künstlich herbeigelachtes Happy End

Szenenbild "Berenice, Regina d'Egitto" Händel-Oper | Bildquelle: © Theater, Oper- und Orchester GmbH, Fotos: Anna Kolata Bildquelle: © Theater, Oper- und Orchester GmbH, Fotos: Anna Kolata Jörg Halubek dirigiert vom Cembalo aus das Händelfestspiel-Orchester mit viel Sinn für die originellen Wendungen in Händels Musik. Romelia Lichtenstein gibt die Titelheldin Berenice zunächst melancholisch verschattet, dann kraftvoll und koloratursicher, Star des Abends ist aber zweifellos der Soprancountertenor Samuel Mariño, mit strahlender Höhe und blitzenden Verzierungen. Das übrige Ensemble agiert auf derselben künstlerischen Höhe und sorgt für einen gefeierten Auftakt der Händelfestspiele. Das im Barock noch verpflichtende glückliche Ende dieser Geschichte um Liebe, Macht und Eifersucht wird vom Showmaster im Glitzeranzug nach Art einer Comedyserie unter Gelächter vom Band herbeigezwungen, dazu steigen die Protagonisten wieder in Katharina Weissenborns Barockkostüme. Wirklich komisch ist daran gar nichts, und gerade deshalb kommt uns Königin Berenice plötzlich ganz nah.

Sendung: "Allegro" am 28. Mai 2018, 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK

Mehr zum Festival

Die Händel-Festspiele Halle finden in diesem Jahr vom 25. Mai bis 10. Juni statt.
Informationen zu Programm und Vorverkauf finden Sie auf der Homepage des Festivals.

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