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Der Komponist Hans Winterberg Auf der Suche nach der eigenen Identität

In eine jüdische Familie geboren, zum tschechischen Staatsbürger geworden, eine katholische Frau geheiratet, in Theresienstadt interniert, nach Deutschland ausgewandert, als Sudetendeutscher geehrt: Der Komponist Hans Winterberg kämpfte zeitlebens mit seiner Nationalität und Identität. Auf Spurensuche nach dem Komponisten, der in einem Tonbandmitschnitt erbost fragt: Nationalität? Was ist denn das für ein rückständiger, verquerer Begriff?

Hans Winterberg - Komponist | Bildquelle: © Peter Kreitmeir

Bildquelle: © Peter Kreitmeir

Murnau am Staffelsee. Nicht weit von der Fußgängerzone entfernt hat Peter Kreitmeir seinen Laden: Goldschmiede und Antiquitäten. Die Regale an den Wänden stehen voller Platten und Bücher. Am Fenster ein Arbeitsplatz für Goldschmiedearbeiten, mitten im Raum ein einfaches Klavier. "Als ich klein war hat mir mein Vater gesagt: 'Jetzt kommt was im Radio von deinem Großvater'", erinnert sich Peter Kreitmeir "Das haben wir dann auch gehört, und das war für mich damals ganz furchtbare Musik." Er lacht. "Ich war doch auf Beatles und sowas geeicht."

Die Suche nach dem Großvater beginnt

Viel erfährt Peter Kreitmeir nicht über seinen Großvater. Er wuchs ohne seine Mutter Ruth auf, die Tochter dieses Großvaters. Kurz nach seiner Geburt hatten sich die Eltern getrennt. Peter blieb beim Vater, trat in dessen Fußstapfen und wurde Goldschmied. Im Alter von 50 Jahren beginnt er aber nachzufragen, sucht nach seinen Wurzeln und stellt fest: Er ist der Enkel des Komponisten Hans Winterberg.

Peter Kreitmeir macht sich auf die Suche nach Informationen zu seinem Großvater, kaum etwas ist über ihn zu finden. Nach und nach trägt er die Informationen zusammen. Nicht allein: Er bekommt Unterstützung vom exil.arte-Zentrum der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Gerold Gruber gründete das Zentrum und leitet es. "Es ist eine ganz hervorragende Leistung, dass der Enkel spürt, dass etwas nicht stimmt bei seinen Vorfahren und dem dann selber nachgeht. Ohne Peter Kreitmeir könnten wir die Forschungsarbeit nicht leisten, die wir im Moment gerade tun", sagt Gruber. Gemeinsam setzen Kreitmeier und die Forscher das Puzzle zusammen.

Hans Winterberg - geboren im "Melting Pot"

Der Komponist Hans Winterberg | Bildquelle: Amunmops/Wikimedia Commons Hans Winterberg | Bildquelle: Amunmops/Wikimedia Commons Als Sohn eines Oberrabbiners wurde Hans Winterberg am 23. März 1901 in Prag geboren. Die Stadt ist damals der Schmelztiegel des österreich-ungarischen Vielvölkerstaates, europäisches Zentrum der Musik und der Literatur. Winterbergs Mitbürger: Hofmannsthal und Rilke, Kafka und Werfel, Dvořák, Martinů und Janáček. "Es war eine bunte Welt. Tschechen, Deutsche und Juden haben kulturell zusammengearbeitet und eine tolle Gemeinschaft gebildet", sagt Gerold Gruber. Winterbergs kulturelle Prägung war tschechisch, seine Religion jüdisch, seine Sprache deutsch. Seine Staatsbürgerschaft war zu diesem Zeitpunkt österreichisch.

Das ändert sich 1918 mit dem Zusammenbruch von Österreich-Ungarn. Winterberg entscheidet sich, die tschechische Staatsbürgerschaft anzunehmen. "Er hat sicherlich gut Tschechisch gekonnt. Diese besondere Sprachmelodie mit Betonungen auf der Zwei, die auch Janáček verwendet hat, die hört man auch bei Winterberg", sagt die Musikwissenschaftlerin Ulrike Anton von exil.arte. Bei der Volkszählung in der Tschechoslowakei im Jahr 1930 kreuzte Winterberg an, dass seine Nationalität tschechisch sei. Er unterschreibt oft mit Hanuš Winterberg.

Jüdische Wurzeln werden zum Verhängnis

Der Komponist Hans Winterberg | Bildquelle: Amunmops/Wikimedia Commons Hans Winterberg | Bildquelle: Amunmops/Wikimedia Commons Winterberg heiratet Maria Maschat, eine Katholikin. 1939 wird unter den Nationalsozialisten aus der Tschechoslowakei das Protektorat Böhmen und Mähren, in der Folge wird 1944 die Ehe von den Nazis "im Sinne des Reichsehegesetzes" aufgelöst. Winterberg wird verhaftet und Anfang 1945 ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht. Seine Mutter war da bereits im Vernichtungslager Maly Trostinez ermordet worden. Im Mai 1945 übernimmt das Rote Kreuz Theresienstadt. Winterberg ist wie alle Gefangenen nun staatenlos, um die tschechische Staatsbürgerschaft muss er ansuchen. Mit seiner zwangsgeschiedenen Frau emigriert er 1947 nach Bayern – außergewöhnlich für einen tschechischen Juden.

Die nun wieder geschlossene Ehe hält in Deutschland nicht. Jahre später heiratet Winterberg eine andere Frau, Marie-Luise Pfeiffer, eine Sudetendeutsche. Sie bringt ihren 22-jährigen Sohn Christoph mit in die Ehe. Aus dem tschechischen Juden Hans Winterberg wird um 1947 ein "Volksdeutscher", ein Sudetendeutscher. Er kommt in die sudetendeutsche Gemeinschaft. "Er versucht sich zu assimilieren, er bekommt einen sudetendeutschen Preis zuerkannt und er schreibt Werke mit dem Titel sudetendeutsch", sagt Gerold Gruber von exil.arte. "Wahrscheinlich hat er in Angst gelebt, dass man darauf kommt, dass er Jude ist und eigentlich nicht zu dieser sudetendeutschen Gemeinschaft gehört."

Mysteriöser Nachlass

Und tatsächlich: Fragen nach der Nationalität des Komponisten kommen unter den Sudetendeutschen auf, Winterberg wehrt sie heftig ab. 1991 stirbt Winterberg in Rennertshofen, Adoptivsohn Christoph lässt ihn in Bad Tölz begraben. Elf Jahre nach Hans Winterbergs Tod verkauft Christoph den Nachlass an das Sudetendeutsche Musikinstitut – und schließt einen ungewöhnlichen Vertrag. Dort steht drin:

"Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes sperrt das Sudetendeutsche Musikinstitut den gesamten übergebenen Nachlass von Hans Winterberg bis zum 31. Dezember 2030 für jegliche Benutzung… Das Sudetendeutsche Musik Institut verpflichtet sich, Hans Winterberg […] ausschließlich als sudetendeutschen Komponisten zu bezeichnen. Auch Zusätze wie "jüdischer Herkunft" oder ähnliche, die als Hinweis auf jüdische Herkunft dienen können, dürfen nicht verwandt werden."

Anfragen nach lebenden Angehörigen von Hans Winterberg dürfen ausnahmslos nur negativ beantwortet werden.
Aus dem Vertrag zwischen Christoph Winterberg und dem Sudetendeutschen Musikinstitut

Die Musik zeigt den Einfluss Tschechiens

Der Komponist Hans Winterberg | Bildquelle: Amunmops/Wikimedia Commons Hans Winterberg | Bildquelle: Amunmops/Wikimedia Commons Im Frühjahr 2015 veröffentlichten Peter Kreitmeir und Forscher von exil.arte den Vertrag. Sie müssen sich aber nicht an den Verschluss halten: Denn überraschenderweise hat Christoph Winterberg seinem Neffen Peter Kreitmeir die Vollmacht übertragen, den Vertrag zu annullieren. Dank seiner Initiative und der der Musikwissenschaftler von exil.arte werden Winterbergs Werke nun herausgegeben. Werke eines der bedeutendsten Vertreter der tschechischen Musik des 20. Jahrhunderts.

Den kulturellen Einfluss merkt man in seinen Kompositionen, meint Ulrike Anton. "Diese Beeinflussung durch die tschechischen Komponisten geht quer durch seine Werke. Man hört immer diese Polyrhythmik, man hört sehr viel tschechische Volksmusik. Bei seiner Musik kann er seine kulturelle Zugehörigkeit nicht verleugnen." Zum Nationalkomponisten Tschechiens macht das Winterberg noch nicht. Wie er selbst auf einem Tonband sagte: "Was heißt Nationalität? Was ist denn das für ein rückständiger, verquerer Begriff?"

Hans Winterberg im Musikfeature

Die ganze Geschichte von Hans Winterberg können Sie im Musikfeature auf BR-KLASSIK hören. Sendetermine:
Freitag, 11. Oktober 2019 um 19:05 Uhr
Samstag, 12. Oktober 2019 um 14:05 Uhr

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